„Ich kann doch nicht rumflippen und schon ist das Rüstungsproblem gelöst“

■ Bremer Bürgermeister Scherf will aus der Bundeswehr eine 100.000 Mann starke Berufsarmee machen / Ziel: Berufssoldaten als Abrüstungsspezialisten

Das neue Germanien kann mit beeindruckenden Abrüstungszahlen aufwarten: Die gesamtdeutsche Armee wird nur noch aus 370.000 Soldaten bestehen, Schützenpanzer schrumpfen um 65 Prozent, die Geschütze um die Hälfte und Panzer um 42 Prozent. Dennoch: Die hochmoderne Kampfausrüstung der Bundeswehr bleibt fast vollständig erhalten. Abrüstung wird also weiter auf der Tagesordnung stehen. Henning Scherf, Bremer Bürgermeister und Bundesvorstandsmitglied der SPD, hat hierzu seine eigenen Vorstellungen. Er will aus der Bundeswehr eine 100.000 Mann starke, hochqualifizierte Berufsarmee machen.

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taz: Sie wollen aus der Bundeswehr eine Berufsarmee machen. Was soll das?

Henning Scherf: Ich möchte gern die alte Debatte, Wehrpflicht oder Berufsarmee wieder aufgreifen. Denn offenbar gibt es eine Übergangsphase in Europa, wo mit integrierten Armeen sehr gefährliche Waffensysteme kontrolliert werden müssen. Dafür brauchen wir kompetente Leute.

Und Sie meinen, in einer Berufsarmee gibt es die eher?

Ja, denn die Wehrpflicht trainiert ja die Leute nicht, um diese hochtechnischen Geräte zu nutzen, sondern sie werden auf den Drill einer Armee eingestellt.

Wie sollte so eine Armee aussehen?

Das läuft darauf hinaus, daß wir die Wehrpflicht abschaffen und daß das Verteidigungsministerium Leuten Jobs anbietet, die über längere Zeit laufen mit entsprechenden Aufstiegsperspektiven.

Wieviele Soldaten sollten das sein?

Die alte Idee, hier in Bremen ist, daß wir mit 100.000 Leuten auskommen, um die Sicherheitsbedürfnisse an der Grenze und nach innen zu gewährleisten.

In letzter Zeit geraten ja militärische Strukturen und Blöcke mehr und mehr ins Wanken. Warum gerade jetzt eine Berufsarmee mit festen Strukturen?

Da bin ich mir gar nicht so sicher, ob die Berufsarmee festere Strukturen hat, als die Armee, die mit Wehrpflichtigen zu tun hat. Der Unterschied ist, daß ich nicht eine ganze Gesellschaft militarisiere.

Was ist sonst anders in einer Berufsarmee ?

Ich konzentriere mich auf Techniker, die mit diesen Geräten umgehen. Umrüsten, Abrüsten und das Umsteigen auf zivile Produktion geht nur, wenn man sie qualifiziert fordert.

Durch eine Berufsarmee werden aber nicht nur Fachleute, sondern auch hierarchische Strukturen geschaffen, die bei der endgültigen Abschaffung der Armee hinderlich sein könnten.

Die Strukturen sind auch so alle vorhanden. Unsere jetztige Armee besteht zu 2/3 aus Berufsarmee und 1/3 Wehrpflichtigen.

Berufsarmeen werden leicht zum mächtigen Staat im Staate. Sehen Sie hier keine Gefahr?

Dieser alte Vorwurf begründet sich auf die Erfahrungen, die in der Weimarer Republik gemacht wurden. Ich finde, das ist hergeholt. Alle Armeen befinden sich in der gleichen schwierigen Lage. Sobald die Leute Uniformen tragen, verhalten sie sich anders. Man muß sich eben darüber klar sein, daß es keine demokratische Entwicklung in einer Armee gibt.

Gibt es positive Erfahrungen mit Berufsarmeen?

Ich habe versucht, mir in den USA ein Bild zu machen, wie das denn eigentlich in den Ausbildungsinstitutionen ankommt, was die da als Berufsarmee machen. Da habe ich den Eindruck gewonnen, daß es für die zivile Ausbildung ein Vorteil ist, daß einem die Jahre nicht abgezogen werden.

Wäre es nicht trotzdem sinnvoller, die politischen Kräfte auf die Verringerung der Waffen zu konzentrieren? Denn auch mit wenigerSoldaten kann sich die Schlagkraft bei modernen Waffensystemen erhöhen.

Das eine schließt das andere ja nicht aus. Aber ich muß doch Umsetzungsschritte erfinden. Ich kann doch nicht einfach rumflippen, die Welt läßt die Rüstung fallen und schon ist unser Rüstungsproblem gelöst.

Berufsarmee, das bedeutet auch, daß es keine Zivildienstleistenden im Pflegebereich mehr gibt.

Dieses Problem ist überhaupt nicht dazu geeignet, den Militärdienst zu rechtfertigen. Die Hauptforderung beim Pflegenotstand ist, daß es zu einer unbefristeten und qualifizierten Versorgung im Pflegebereich kommt.

Aber wie soll denn die Pflege weitergeführt werden ohne Geld?

Sie wollen mir da gerade eine Argumentation zur Verteidigung der Wehrpflicht andrehen. Ich sage, es ist dringend nötig, eine Dienstleistungsoffensive zu starten. Das hat aber gar nichts mit der Wehrpflicht zu tun.

Aber was wird aus den Pflegestellen von Zivis?

Wedemeier will eine zivile Dienstpflicht für Männer und Frauen. Aber ich finde, die Leute sollten nicht nur ein nettes Jahr arbeiten, sondern für sie muß es eine Lebensperspektive in den Dienstleistungsbereichen geben.

Also Sie wollen aus den ehemaligen Zivi-Stellen feste Arbeitsplätze machen?

Ja, natürlich. Und das ist auch im Sinne des Zivildienstgesetzes. Wir wollten doch mit dem Zivildienst keine Regelaufgaben lösen, sondern nur unterstützen. Und damit kann man argumentieren.

Haben Sie für ihre Argumente in der SPD Rückhalt?

Der wächst. Natürlich vertreten wir in dieser Frage keine geschlossene Meinung. Aber gibt eine starke erkennbare Linie, die sagt, wir dürfen es nicht dabei bewenden lassen, was Kohl und Gorbatschow ausgehandelt haben. Fragen: Birgit Ziegenhagen