Ausnahmslos Psychotiker

■ Professor Pohle und seine Sicht der Aidskranken KOMMENTAR

Psycho-soziale Betreuung, das ist ein medizinisch-pflegerischer Fachbegriff, aber auch nebliges Sozialarbeiterdeutsch. Und dennoch leuchtet jedem Laien ein, daß gerade bei Aids-Patienten allem, was über die bloße medizinische Behandlung mit Medikamenten und Apparaten hinausgeht, eine besondere Wichtigkeit zukommt. Dabei geht es nicht allein um Gespräche über Leben und Tod. Den Kontakt zu Freunden zu halten, zu wissen, wer zu Hause die Blumen gießt, oder jemand zu haben, der mal eine Pizza mitbringt, ist genauso wichtig.

Damit die vom Senat geförderten Aids-Selbsthilfegruppen diese Arbeit leisten können, müssen sie mit den Kliniken kooperieren. Doch was beim Auguste-Viktoria-Krankenhaus in Steglitz und Charlottenburg funktioniert, das erscheint im Rudolf-Virchow-Großklinikum unmöglich. Warum dies so ist, belegt am besten ein Brief des Leiters der dortigen Aids-Abteilung, Professor Pohle. Er hat ihn bereits im März am Sozialsenatorin Stahmer geschrieben. Der Brief liegt der taz vor. Das elf Seiten lange Elaborat strotzt vor homophoben Vorurteilen und Arroganz. Geht es nach Pohle, dann gibt es den Begriff »psycho-sozial« erst gar nicht, denn der steht nicht im medizinischen Wörterbuch. Die Arbeit der schwulen Selbsthilfegruppen nennt er »paraprofessionelle Aktivitäten«. Wegen der »Selbstidentifizierungsproblematik« will Pohle keine schwulen Pfleger und Ärzte einstellen. »Besondere Privilegien« wie »die Ermöglichung körperlicher Kontakte untereinander und mit Besuchern außerhalb des gesellschaftlichen Rahmens«, mag der Professor nicht zulassen. Natürlich wollen die Schwulen nichts anderes als Vögeln im Sterbezimmer. Kein Wunder: denn laut Pohle sind »klinisch behandlungswürdige Aidskranke immer und ausnahmslos auch unter (...) psychiatrischen Gesichtspunkten zu beurteilen«. kotte