»Man versucht dort ‘verbrannte Erde‚ zu hinterlassen«

■ West-Berlins Innensenator Erich Pätzold zur Anweisung der Ostberliner Polizeiführung, Akten über die polizeiliche Tätigkeit zu vernichten INTERVIEW

taz: Ost-Berlins Polizei entsorgt gerade ihre Vergangenheit mit dem Reißwolf. Können Sie das als zukünftiger Dienstherr hinnehmen?

Erich Pätzold: Ich habe in der letzten Zeit schon mehrfach erklärt, daß keine Unterlagen vernichtet werden dürfen. Wir können erwarten, daß Behörden, für die wir die Verantwortung tragen werden, so wie sie sind, mit Personal, mit allen Einrichtungen, allen Gebäuden und mit vollständigen Akten übergeben werden. Ich hatte auch deutlich gemacht, daß wir jeden zur Verantwortung ziehen werden, der jetzt noch etwas vernichtet, es geschehen läßt, es anordnet, es weiß und nicht dagegen einschreitet.

Nach der uns vorliegenden Anweisung sind für die Vernichtungsaktion Geheimhaltungsstufen aufgehoben worden. Wie brisant können diese Unterlagen sein?

Das ist schwer abzuschätzen, aber es sieht nach Generalauflösung aus, als wenn man alles, was bisher unter dem Siegel der Geheimhaltung aufbewahrt worden ist, dieser Geheimhaltung entkleidet mit der offensichtlich damit verbundenen Aufforderung, so viel wie möglich davon zu vernichten.

Können Sie sich vorstellen, daß der amtierende Polizeipräsident Ost-Berlins, Herr Bachmannn, davon keine Kenntnis hat?

Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Es gibt ja mehrere Polizei-Vizepräsidenten in Ost-Berlin. Herr Preiß hat unterschrieben, und ganz gewiß geschieht das nicht ohne Einvernehmen mit Herrn Bachmann. Ich muß sogar annehmen, daß Herr Diestel als Innenminister das auch weiß oder wissen müßte. Ich weiß auch nicht, ob sich das nur auf Berlin beschränkt oder ob nun überall versucht wird, alles noch beiseite zu schaffen, von dem man Belastendes befürchtet. Ich werde jedenfalls Herrn Diestel sofort auffordern, das einstellen zu lassen, und werde ihn befragen, ob er davon gewußt hat und weshalb es dann mit seiner Duldung geschehen ist. Ich muß hoffentlich nicht unterstellen, daß es vielleicht sogar auf seine Anordnung hin geschehen ist.

Wäre es nicht an der Zeit, daß Herr Diestel Konsequenzen zieht?

Ich sage ja schon lange, daß Herr Bachmann Konsequenzen ziehen müßte oder Herr Diestel gegenüber Herrn Bachmann. Aber mit dem Herrn Diestel ist es schon ein Kreuz: Was da alles in den vergangenen Monaten gelaufen ist, wie die Dinge verschleiert werden und wie er dann noch versucht als Biedermann aufzutreten, das ist schon sehr, sehr erstaunlich.

Was bedeutet dieser nun bekanntgewordene Vorgang für die Akzeptanz insbesondere der Polizei in Ost- Berlin bei der Bevölkerung?

Das wird sehr negative Auswirkungen haben, insbesondere dann, wenn jetzt höhere Dienstgrade der Volkspolizei daran mitwirken. Die Bürger sind nun 40 Jahre lang von dem SED-Regime lange genug gequält worden, und sie hatten sich eigentlich von der Wende, von der neuen Regierung, etwas ganz anderes erhofft. Daß sich das alles munter fortsetzt, daß auch neue demokratisch legitimierte Minister mit den alten Apparaten weiterarbeiten, Leute in früheren Führungspositionen zum Teil noch befördern und sie in dieser Weise gewähren lassen, das ist schon nicht mehr faßbar für die Menschen in der DDR und in Ost-Berlin. Man kann nur hoffen, daß sich pflichtbewußte Polizeikräfte, die es auch dort in großer Zahl gibt, mindestens in den einfacheren Rängen, nicht an solchen Aktionen beteiligen. Mein Eindruck ist ohnehin der, daß die alte Volkspolizeiführung in Ost-Berlin, die weiß, daß sie nicht im Amt bleiben kann, wenn wir die Verantwortung übernehmen, versucht, »verbrannte Erde« dort zu hinterlassen. Wir müssen uns von den hochbelasteten Führungskräften trennen.

Ihr Kollege Krüger wird einen Brief an Ministerpräsident de Maizière schreiben und um eine politische Stellungnahme zu den neuesten Vorgängen bitten. Erwarten auch Sie von de Maizière ein Wort zu der Angelegenheit?

Ich hatte von Herrn de Maizière, mindestens anfangs, einen guten persönlichen Eindruck. Ich muß sagen: In der Art und Weise, wie das da alles so weiterläuft und wie man sich vor diesen Herrn Diestel stellt, alles zu erklären und zu rechtfertigen versucht, ist mein guter Eindruck sehr weit geschwunden. Interview: Raul Gersson