PRESS-SCHLAG
: Der freie Flugzum Feldverweis

■ Die neue Notbremsenverordnung des DFB sorgt weiter für Aufregung und Entsetzen

Die Notbremse ist ein Gegenstand des täglichen Lebens, von dem man gemeinhin besser die Finger läßt, will man sich nicht unangenehme Konsequenzen einhandeln. „Mißbrauch“ wird nämlich, so steht es an den Kästlein mit den verlockenden roten Handgriffen stets zu lesen, „strafrechtlich verfolgt“. Im Fußball ist das anders. Dort schließt die Notbremse ihren Mißbrauch bereits ein. Verfolgt wird sie erst recht, und zwar nach dem Willen von FIFA und DFB seit neuestem mit der roten Karte.

Sehr zum Leidwesen der Spieler, die dieses finale Rettungsmittel so ins Herz geschlossen haben, daß sie gänzlich unfähig sind, auf seine Anwendung zu verzichten. Die Folge: eine wahre Flut von Platzverweisen, deren Berechtigung jeweils mit vollmundiger Empörung in Frage gestellt wird. Niemals sei das eine rote Karte wert gewesen, sprach der Uerdinger Wolfgang Rolff am Freitag, nachdem er seinen enteilten Gegenspieler Carl von hinten so lange liebevoll umklammert hatte, bis diesem der Ball entschwunden war. Klare Hinausstellung nach neuer Regelauslegung, darüberhinaus hatte Rolff zuvor bereits wegen eines absichtlichen Handspiels den gelben Karton erblickt.

Der Verwiesene mochte die gewachsene Unrechtmäßigkeit einer Schandtat wie der seinen nicht einsehen und berief sich dabei auf den notgebremsten Carl, der mit ihm völlig einer Meinung sei. Das wiederum brachte Schiedsrichter Kriegelstein auf die Palme, der kundtat, daß es ihn überhaupt nicht interessiere, was ein Spieler sage. Letztes Glied der Entrüstungskette: Uerdingens Trainer Horst Wohlers, der ohnehin seit längerem einen Haß auf die schwarzen Männer mit sich herumschleppt. „Die Arroganz der Schiedsrichter dauert schon eine ganze Weile, obwohl wir nicht um Erbsen spielen, sondern um Punkte“, zürnte Wohlers, einer der schärfsten Gegner der roten Karte für Fouls an Spielern mit freier Bahn zum Tor. Dies würde dazu führen, daß im Training geübt werde, wie man am besten Platzverweise provoziere.

Dieter Eckstein von Eintracht Frankfurt beherrscht den freien Flug zum Feldverweis bereits perfekt. Wie von einem Trampolin geschnellt, sauste er durch die Luft, als sich ihm der Tschechoslowake Straka unausweichlich in den Weg stellte. Rot für den Gladbacher Libero, der das Foul ohne weiteres zugab, aber — natürlich — nicht einsah, warum er für eine solche Harmlosigkeit vom Feld mußte. „Ist doch besser, als in die Beine treten“, findet Straka, was ihm auch Eckstein sicher gern bestätigen wird.

Von den Münchner Bayern ist eine derartige Fähigkeit zur Einsicht kaum zu erwarten. In Düsseldorf waren Bayerns Stefan Reuter und Fortunas Michael Büskens zusammen zu Boden gegangen und hatten sich ineinander verhakt. Beim Aufstehen wuchtete Reuter seinem Kontrahenten das Knie in die Rippen und sah dafür vollkommen zu Recht die rote Karte. Bayern-Manager Uli Hoeneß konnte von seinem weit entfernten Platz unmöglich sehen, was passiert war, entblödete sich aber nicht, wütend über Schiedsrichter Harder herzufallen, ständig „Schmarr'n, Schmarr'n“ zu stammeln und den Referee markig aufzufordern, in den Spielbericht zu schreiben: „Entschuldigung, ich habe mich geirrt.“

Geirrt hatte sich Harder tatsächlich, was überhaupt nicht aufgefallen wäre, hätte er nur geschwiegen. Aber Schiedsrichter scheinen neuerdings nicht mehr in der Lage zu sein, einfach mal die Klappe zu halten, und dann kommt so etwas heraus: „Ich habe genau gesehen, wie er seinen Gegner mit der Hand an den Kopf geschlagen hat.“ Schmarr'n!

Die einfachste Lösung hatte Reuter selbst anzubieten: „Ich habe gar nichts gemacht.“ Eine Theorie, von der er tatsächlich überzeugt schien, was angesichts der Fernsehbilder einen lange gehegten Verdacht bestätigt: Fußballspieler wissen häufig nicht, was sie dort unten auf dem Rasen eigentlich tun. Was uns schnurstracks wieder zur Notbremse führt. Andreas Möller nämlich muß bei den entsprechenden Trainingseinheiten gefehlt haben. Anstatt sich an den Flugkünsten seines Kollegen Eckstein zu orientieren, als ihm sein Bewacher in der 62. Minute an der Strafraumgrenze an den Knöchel trat, stolperte er völlig zeitgeistwidrig weiter und schoß den Ball einfach ins Tor. Wahrlich, die Zeiten sind hart. Woran soll sich ein einfacher Fußballer unter solch undurchsichtigen Bedingungen eigentlich noch orientieren?

Vielleicht an Udo Lattek. Der frischgebackene Hilfsbremser des 1. FC Köln hat bereits eine neue Teufelei ausgeklügelt, um Trainer, Spieler und Schiedsrichter zu verwirren: „Ich habe morgens der Mannschaft gesagt, daß sie die Handbremse lösen muß.“ Matti