Der Sowjetpresse geht die Farbe aus

Einige Zeitungen müssen ab heute kürzer treten, weil Druckerschwärze fehlt/ Deutsche Multis haben Lieferungen wegen Devisenmangels eingestellt  ■ Aus Moskau K.H. Donath

Schon in den letzten Tagen fehlten wieder einmal die Zeitungen im Briefkasten. Das gehört in Moskau zum Alltag und muß nicht gleich den Blutdruck hochtreiben. Jetzt aber droht der totale Zeitungsnotstand. Heute nämlich werden voraussichtlich nur einige Publikationen erscheinen.

Bisher gab es für die Unregelmäßigkeiten zwei Erklärungen: die Unzuverlässigkeit der sowjetischen Post und den drückenden Papiermangel, unter dem gelegentlich gerade die kritischen Organe zu leiden haben. Seit ein paar Tagen hat sich noch ein weiterer Grund dazugesellt. Der in den letzten Jahren bunter gewordenen Presse geht die Farbe aus. Oder präziser, es fehlt den Druckereien ein bestimmtes Pigment, das sie bisher gegen harte Währung aus dem Westen bezogen hatten. Der Valutaengpaß des bis zum Frühjahr soliden Schuldners UdSSR hat die Hauptversorger BASF, Hoechst und CIBA-GEIGY veranlaßt, ihre Lieferungen vorerst zu stornieren. Nun schreibt die Regierungszeitung 'Iswestija‘, der „langjährige Partner BASF“ hätte jetzt wegen „seines freundschaftlichen Verhältnisses zu uns auch noch zu leiden“. Die Zahlungen seien ausgeblieben, und konsequenterweise hätte BASF auch den Nachschub im zweiten Quartal gestoppt, heißt es im Regierungsblatt sehr verständnisvoll für das Verhalten der ausländischen Konzerne.

Trotz dieses Mitgefühls wird der Multi daran nicht zugrunde gehen. Doch anscheinend ist der Zahlungsrückstand drastischer als angenommen: es sollen sogar noch Rechnungen offen sein aus der Zeit, die man dieser Tage in Moskau gerade zu beerdigen versucht. Pikant daran ist nämlich, daß in der 'Iswestija‘ impliziert auch ausgedrückt wird, BASF habe während dieser jahrelangen Zusammenarbeit die damals im Westen noch verteufelte kommunistische Propagandamaschine am Leben erhalten. Aber das nur nebenbei.

Der farbigen Presse fehlt es am Himmelblau, ohne diesen Zusatz kann sie auch nicht in Rot, Gelb oder Schwarz drucken. Das wäre ja noch zu verkraften, erinnern sich die Sowjetmenschen doch noch an Zeiten, während denen es auch schwarz auf weiß nichts zu lesen gab. Aber selbst die Schwarzweiß-Presse ist auf ein Pigment angewiesen, das sie bisher vom Westen bezogen hat. Wladimir Buschmanow, Kopf des Moskauer 'Prawda‘-Verlagskonsortiums, legte kürzlich einen Offenbarungseid ab. Wenn die Fabriken, die Druckerschwärze herstellen, nicht innerhalb weniger Tage Valuta erhielten, müßten die meisten Presseorgane am 17.September ihr Erscheinen einstellen. Nur zwei Fabriken in der Sowjetunion, in Torschkow und Moskau, stellen diesen Stoff her. Um die Produktion noch bis Jahresfrist zu sichern, wären 7,5 Millionen DM nötig. Doch auch auf der Sitzung des „Staatlichen Komitees für die Presse“ letzte Woche konnte das Geld nicht aufgetrieben werden. Allerdings hoffte man dort, die Kredite aus der Bundesrepublik könnten die Tintenschulden tilgen. Auf der Suche nach einem Ausweg schlugen Vertreter der größten Verlage sogar in derselben Sitzung vor, staatliche Druckerschwärze zu Schwarzmarktpreisen zu kaufen. Doch wer kann sich das leisten? Nur solche Publikationen, die über ausreichenden Absatz im Westen verfügen. Dazu zählen auf jeden Fall die Illustrierte 'Ogonjok‘, und auch die 'Prawda‘ ist bisher noch nie in einen Engpaß geraten... Bleich müssen allerdings die Manager von „Goznak“ werden. Hinter dieser Abkürzung versteckt sich das Unternehmen, das staatliche Druckaufträge erledigt: Banknoten und Reisepässe. Auch ihm geht am 17. die Farbe aus. Ob mit diesem materiellen Defizit ein adäquates Mittel zur Inflationsbekämpfung bereitgestellt ist, ist aber zweifelhaft.

Zu guter Letzt könnte man noch einen Appell an die sowjetischen Journalisten richten: sich kurz zu fassen. Dabei sind die sowjetischen Tageszeitungen sowieso selten mehr als sechs bis acht Seiten stark. Aber die russische Sprache ist so schön... Soll ausgerechnet den Journalisten wieder die Freude am offenen Wort genommen werden, auch wenn es sich manchmal etwas knapper sagen ließe?