Rumänien: Die Roma sind die Sündenböcke

Für die Presse sind vor allem die Roma daran schuld, daß die Grenzen zum Westen zugemacht werden/ Roma zerstritten  ■ Aus Bukarest Roland Hofwiler

Kaum ein Tag vergeht in Rumänien, an dem Roma nicht als Sündenböcke herhalten müssen. Als kürzlich Bulgarien den kleinen Grenzverkehr mit seinem nördlichen Nachbarn ganz einstellte und von jedem rumänischen Reisenden seitdem mehrere einschneidende Zollformalitäten auferlegte, war die Empörung groß. „Die Zigeuner sind an allem schuld“, hieß es in Zeitungsartikeln. Denn Sofia begründete die Maßnahme damit, daß Mitte August der Schwarzhandel rumänischer Roma „unerträglich“ geworden sei.

Die Aggression gegen Roma wuchs in beiden Ländern auch deshalb, weil seit Wochen zu Recht weitere Reisebeschränkungen auch nach dem Westen befürchtet werden. Zeitungsmeldungen heizten diese Ängste an: Interpol meldet, daß vom 1.Juli bis 17. August in Europa 152 rumänische Touristen wegen Kaufhaus- und Taschendiebstahl verhaftet wurden, in 105 Fällen „Zigeuner“. Nicht nur das. Auch im Land würden die Roma gegen Sitte und Anstand verstoßen. Die Geschäfte würden durch Roma-Gruppen leergekauft. Die „ehrbaren Normalbürger“ gingen dagegen leer aus. Die Rumänen müßten sich auf dem Schwarzmarkt bedienen. Und auch der würde von den „kriminellen Zigeunern“ beherrscht.

So ist es kein Wunder, wenn sich die Polizei der Minorität in besonderem Maße annimmt. Aber auch bei den Demonstrationen gegen die Iliescu-Regierung setzt sich diese Stimmung fort. Die Roma seien an allem Schuld. Auf diese Vorurteile versuchte schon mehrmals die „Demokratische Union der Roma in Rumänien“ (DURR) aufmerksam zu machen. Bereits über hundert Roma sollen aus politischen Gründen in Haft sein. Und immer wenn es bei Auseinandersetzungen Tote gab, seien die Mehrzahl von ihnen Roma gewesen, beklagt sich die Organisation. Bekanntlich kannte die Wut der Bergleute, die der rumänische Präsident Iliescu im Juni in die Hauptstadt karrren ließ, um den oppositionellen Universitätsplatz zu räumen, keine Grenzen. Mit den Parolen „Tod den Taugenichtsen, Tod dem Zigeunerpack“ schlugen die Kumpel auf jeden ein, der ihnen über den Weg lief. Und sie trafen vor allem Roma. Auch für die Ausschreitungen zwischen Rumänen und Ungarn in Tirgu Mures (Neumarkt) müssen die Roma büßen. Bisher mußten sich allein 23 Roma wegen „Vandalismus auf seiten der ungarischen Angreifer“ vor Gericht verantworten. In den Roma- Vierteln der Hauptstadt seien Razzien nach „Unruhestiftern“ und tätliche Übergriffe auf der Tagesordnung, behauptet DURR.

Doch die Roma sind in sich zerstritten. Bullibscha Ioan Cioaba, zur Ceausescu-Zeit unumstrittenes Oberhaupt des Roma-Volkes, der sein Volk auf etwas mehr als zwei Millionen Menschen allein in Rumänien schätzt — manche Offizielle sprechen sogar von sieben Millionen —, verließ den Dachverband DURR und gründete am 20. Juni eine neue Partei, die „Partei der Roma, Kesselschmiede und Wanderzigeuner“. Zur Begründung ließ Ionan Cioaba, offizieller Vertreter des Roma-Volkes bei den Vereinten Nationen, wissen, in der DURR wimmle es mittlerweile von Securisten, „Zigeunerromantikern“, Bettlern und Asozialen. Für ihn sei ein seßhafter Rom kein Rom mehr und ein „echer Rom werde nicht wie ein Taugenichts demonstrieren“.

Im Sekretariat der DURR ist man auf den alten Repräsentanten nicht mehr gut zu sprechen, man hält ihn für einen Kollaborateur der herrschenden Partei. Doch ist die Führung von DURR selbst in sich zerstritten. Gründungsmitglied Nicolae Bobu, ein Rechtsanwalt, wird von seinen Mitstreitern Ionan Onoriu und Gheorghe Raducanu der Unterschlagung beschuldigt. Über diesen Konflikt platzte am 15. Juli der erste nationale Roma-Kongreß zur Schadenfreude der Regierungspresse. Einen Schritt weiter ging das chauvinistische Wochenblatt 'Romania Mare‘ (Großrumänien). Die Roma kämen nur zur Vernunft, wenn Blut fließe. Dabei wisse jeder, „... eine Kugel kostet nur ein paar Lei“. Das ist ein offener Aufruf zum Pogrom, der selbst bei den „Demokraten“ kaum auf Proteste stieß.