„Mathematik macht Spaß.“

■ Deutsche Mathematiker-Vereinigung hat Geburtstag und Imageprobleme

Nehmen Sie alle Vorurteile, die Ihnen zum Stichwort „Mathematiker“ einfallen, zusammen (incl. der Meinung, daß es keine Mathematikerinnen gibt), dann haben Sie das Imageproblem der Mathematik schon erfaßt: Hermetisch soll sie sein, theoretisch verquast, erfunden, um PennälerInnen zu quälen, von weltfremden Mannsbildern ausgeübt und von minimalem Anwendungswert jenseits der Zinseszinsrechnung. Zum 100jährigen Geburtstag der Deutschen Mathematiker-Vereinigung (DMV), die 1890 in Bremen gegründet wurde und ihre Jubiläumstagung vom 16.-22.September in unserer Hansestadt abhält, geht es ganz verschärft ums Image. Denn auch in der Mathematik gibt es Nachwuchs-und Finanzsorgen.

Hundert Jahre nach Gründung der DMV haben mathematische Methoden und Ergebnisse längst Eingang selbst in entfernte Fächer wie Soziologie oder Pädagogik gefunden. Physiker gehören heute zu den besten Mathematikern (und streichen internationale Mathematikpreise ein). Quantenphysik und die Erforschung der Elementarteilchen sind ohne mathematische Ableitungen undenkbar. Mathematiker berechnen Strömungen im Blutkreislauf und stellen menschliche Körperteile auf Computerbildschirmen dar, um jede Achse schwenkbar. Diese Erkenntnisse sind unbestritten und — weitgehend unbekannt. Grund: Die Unzugänglichkeit des mathematischen Denkens für Nichtmathematiker. Prof.Grotemeyer (Uni Bielefeld) auf einer Pressekonferenz: „Die Mathematik schafft ihre Gegenstände selbst“, sei daher eher der Kunst verwandt. Der Umgang mit abstrakten Konstruktionen wird von „Jüngern“ getrieben, die die Mathematik wegen ihrer „Schönheit lieben“ (Prof. Hirzebruch, DMV-Vorsitzender).

Vielleicht ist es das überall spürbare libidinöse Verhältnis zum Fach, das die Kommunikation mit der Restwelt so erschwert. Henning Scherf als Wissenschafts-und Bildungssenator: „Es ist ein Stück Überlebensfrage, ob wir es schaffen, zwischen diesen Olympiers und uns eine Kommunikationsstruktur zu schaffen“. Ein Beispiel dafür, wie schwer die Vermittlung fällt, ist der diesjährige und erste Preisträger der Georg Cantor Medaille, Karl Stein (Jg.1913). Er hat Bahnbrechendes auf dem Gebiet der komplexen Analysis entwickelt, nach ihm benannt sind gewisse „Steinsche Mannigfaltigkeiten“. Befragt, wo seine Forschungen praktische Anwendungen fänden, fühlt Stein sich „überfordert“, er habe nie an Anwendungen gedacht, sei über seine Wirkung „einigermaßen fassungslos“. Seine Devise (frei nach Heisenberg): „Ich mache Mathematik, weil's mir Spaß macht“.

Den Spaß an der Mathematik will die DMV vermitteln; als Medium soll der Computer dienen, an dem sich immer häufiger altgediente „Jünger“ und taufrische Kids begegnen. Eine Ausstellung in der Unteren Rathaushalle zeigt mathematisch-künstlerische Randbereiche zum Spielen und Ausprobieren. 27 Schulklassen sind angemeldet.

Zur Tagung selbst sind 600 Teilnehmer(innen) gemeldet. In einer Vielzahl von Vorträgen geht es um „unitäre Eigenwertprobleme“, die „Nichtexistenz arithmetischer hyperbolischer Spiegelungsgruppen“ und „affine vollständige Durchschnitte“. Ein Geburtstagsgeschenk hatte ein Vertreter Riesenhubers mitgebracht: eine allgemeine Zusicherung, bestimmte mathematische Sektionen durch den Bund zu fördern. Aber das Grundproblem, nicht ernstgenommen zu sein, illustriert Hirzebruch noch mal so: Die Bundespost war nicht bereit, zum Geburtstag eine Sondermarke zu bringen. „500 Jahre Riesling“ waren wichtiger. Burkhard Straßmann