Neue Ernsthaftigkeit

■ „Antonius und Cleopatra“ hatte Premiere / Die shakespeare company traut sich an Vermeidliches

Lieben Sie Shakespeare? Och... Lieben Sie die Shakespeare Company? Jaaa!! Kennen Sie Antonius und Cleopatra? Waren das nicht damals in Ägypten jener virile Triumvire aus Rom, der sich mit einer exotischen Genußsüchtigen ein paar schöne Jahre machte? Richtig. Und der nicht nur zwischen Schlachten der Wollust frönte, sondern dem Reiz-Weibe halbhörig anheimfiel, aus politischen Gründen aber unglückliche Zweck-Schwestern heiratete, deren Brüder am Ende als triumphierende Ex-Triumviren überblieben. Der Cleopatra verflucht, die in die Vortäuschung ihres Todes flieht, worauf er sich selbstmeuchelt, worauf sie sich von der Schlange final beißen läßt. Kurzum: Machtpolitik gegen erotische Exotik, Männerbündelei gegen Allein-Frau, Liz Taylor gegen Richard Burton, Verstrickung mit Los und Leidenschaft, Chaos und Kalkül. Auch Shakespeare hat sich an dem Stoff des Plutarch versucht und es sich leisten können. Weil er so um 1607 nicht mehr nötig hatte, dem Publikum Dramen leicht zugänglich zu machen — seine Vorhergänger-Stücke waren bereits genügend erfolgreich. Möglicherweise eine parallele Erklärungsmöglichkeit für den Entschluß der Shakespeare Company, dieses Stück neu zu übersetzen (Chris Alexander) und auch zu spielen. Man hat Kredit, und das Publikum ist gut erzogen. Und außerdem hat man mal eine tragende Frauenrolle.

Wir lieben doch aber „unsere“ Shakespeare Company deswegen, weil sie uns unterhält und nicht vor lauter Hehr-Kunst im Plüschsitz an Langeweilie sterben läßt. Warum sollen wir uns nun plötzlich wie Säue unter Shakespeares Perlen fühlen? Wollte und mußte denn nicht auch Shakespeare, weil das einfache Publikum im Globe-Theater-Parkett nur stehen konnte, Wortgewalt, Witz und Wahnsinn verbreiten — damit die da unten nicht quasselten und von einem Fuß auf den andern traten?

Wir dürfen aber sitzen und blicken auf eine Bühne, die werkgetreu keinen Vorhang und keine Dekoration enthält außer liegenden und hängenden Stoffbahnen: inneres Auge ist gefragt. Und selbstverständlich äußeres Ohr, durch das wir nun die sprach- spielerische Beschwörung von äußeren Schauplätzen und inneren K(r)ämpfen erleben wollen. Unser Herz will aber auch was haben und erwartet Magie und Komik und v.a. viel Pralles.

Die Triumvirn mit Krawatten, magnatischen Managerbrillen, wehenden Maxi-Mänteln lassen noch offen und machen einen maximal windmacherischen Eindruck. Aber wenn sie und bald die andern zu deklamieren beginnen, dann wird einer doch bald klar, daß wir hier in einem schweren Stück sind, wo man lernen kann, daß Macht und Liebe, Kriegsdummheit und Würstchentum diametrale Exaltationen bedeuten. Antonius steht für alles, ist ein einsam zersplittert Ich, also modern, gebeutelt von trotzigen Obsessionen fürs Fleischeslustige und ebenso für die martialische Geilheit der Macht. Renato Grünig ist alles das und dazu ein spillerig in der eigenen Unordnung zappelnder Unbestimmter — manchmal ein bißchen zuviel lächerliches Kerlchen und zu wenig komplizierter Machtapparatler. Dagmar Papulas Cleopatra aber ist von einer doch recht oberflächlichen Betriebskostümfests-Sinnlichkeit, so daß ihre Figur, wo sie eventuell versachlicht werden sollte, nur läppisch wird. Und wenn „ich sehn mich nach Unsterblichkeit“ in etwa klingt wie „ich muß noch Wäsche waschen“, dann ist das zu weit entfernt von der äußersten Ausdruckskraft und der Magie, die Shakespeare von seinen Schauspielern verlangt.

Das Stück wird selten bunt auf seiner schwarzen Bühne. Und dauerndes Hin-und Hergerase macht inneres Rasen auch nicht deutlicher. Das Publikum wird so dankbar für jeden Klamauk: wenn ein Postbote mit dem Fahrrad einfährt, wenn die Krieger wie Vielharmoniker singen. Hat die Company Komplexe bekommen wegen eventueller Unernsthaftigkeit? Oder hat mit Pit Holzwarth als zweitem Regisseur (neben Norbert Kentrup) ein zu sehr akademisierender Touch die Company touchiert? Entdeckung des Abends: Christian Kaiser, top präsent und voll praller Spiellust. Und weil's doch die Company ist und auch die übrigen Rollen teilweise brillierten: bräuselnder bis brausender Applaus. Claudia Kohlhase