Sylvesterprügel am Sielwall

■ Polizisten verhedderten sich in Widersprüche

Unsichtbare Angeklagte saßen gestern mit auf der Anklagebank im Amtgericht Bremen: in der vergangenen Sylvesternacht diensthabende Polizisten. Sie haben den Punk Matthias S. nach seiner Aussage bei seiner Festnahme auf der Sielwallkreuzung mit Fußtritten, Faustschlägen, Stockhieben und Stößen ins Auto befördert und ihm dabei zwei Platzwunden auf der Stirn zugefügt. Matthias S.ist angeklagt wegen Landfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Er soll während der Sylvesterfeier auf der Sielwallkreuzung an einem Polizeiauto gerüttelt und eine Flasche geworfen haben (wir berichteten).

„Das war für mich regelrecht ein Überfall“, schildert Zeugin Nicole V., die spätere Festnahme ihres Bekannten. „Wir haben da gesessen, plötzlich halten zwei Wannen an und sechs bis acht Bullen...“ (Staatsanwalt: „Wir sagen hier Polizisten!“) „...sprangen heraus, stürzten auf uns zu, packten mich. Plötzlich rief einer: Die nicht! Und ich wurde wieder losgelassen. Dann sah ich, wie sie Matthias gewaltvoll ins Auto schleppten. Dann bin ich hinterher und habe gefragt, warum. Hau bloß ab, sonst kriegst Du auch noch eins auf die Fresse, hat einer gesagt.“

Am gestrigen vierten Verhandlungstag sagte zum ersten Mal der Beschuldigte selbst aus, der bisher von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte.

Matthias S. erzählt, wie er gefeiert hat, wie er zwar Bierdosen achtlos wegwarf, aber keine Flaschen, daß er auf der Sielwallkreuzung umhergewandert sei, um mit Freunden zu sprechen, daß er zwar Randale bemerkt habe, aber nicht selbst beteiligt war. Und schließlich, wie er arglos sitzend von den Polizisten gegriffen und ins Polizeiauto befördert worden sei. Dabei habe er sich wahrscheinlich die beiden Platzwunden an der Stirn und das blaue Auge zugezogen. Wunden, die später im Krankenhaus genäht werden mußten. Im Mannschaftswagen sei er mit Polizeistiefeln zu Boden gedrückt worden. Auf seine Fragen bekam er die Antwort: „Halt's Maul, sonst beziehst Du noch mehr Prügel!“ Auf der Wache hätten sie ihn die Kellertreppe heruntergestoßen und ihm noch mehr Prügel angedroht, wenn er nicht schneller seine Stiefel ausziehe. „Eine Stunde habe ich nach einem Arzt gerufen, weil ich blutete. Zwischendurch kamen Beamte herunter und verhöhnten mich.“ Zwei Beamte brachten ihn schließlich ins St. Jürgen-Krankenhaus. Die Arzthelferin habe er angefleht, ihm zu helfen: „Ich hatte Angst, mit den Beamten wieder zurückzufahren.“

Die an vorhergehenden Verhandlungstagen geladenen Polizisten hatten sich über die mutmaßliche Herkunft der Wunden in Widersprüche verwickelt. Zum nächsten Verhandlungstermin will Staatsanwalt von Bock und Pollach noch einmal den Polizeibeamten als Zeugen hören, der am 1. Januar die Beobachtungen seiner Kollegen aufgenommen hat. Den will der Staatsanwalt mit den Zeugenaussagen der anderen „konfrontieren“. Wird er ein Ermittlungsverfahren gegen die betreffenden Beamten einleiten? Von Bock: „Eine Anzeige wegen Körperverletzung im Amt und Meineid gehört zu meinen Erwägungen. Ich bin dabei, die Sache zu prüfen.“ Warum hatte Matthias nicht schon früher ausgesagt oder die Beamten angezeigt? von Bock: „Manche Anwälte raten davon ab. Denn die Beamten beantworten so eine Anzeige meistens mit einer Gegenanzeige wegen Verleumdung.“ Beate Ramm