Rote Fahne mit Trauerflor

■ Steffi und Camilla Spira bei den »Berliner Lektionen« wiedervereinigt

Viel erfährt man nicht über die »Genossin« und über die »gnädige Frau« — auch wenn der unterschiedliche Lebensweg der beiden Schwestern »sinnbildlich-symbolisch« für ein ganzes Zeitalter gestanden haben soll. »Der getrennte Himmel« war das Thema der Veranstaltung im Rahmen der »Berliner Lektionen«, in der zwei Sterne vom (Film-)Theaterhimmel fielen: die Schauspielerinnen Steffi und Camilla Spira, aus Ost-Berlin die eine, aus dem Westen die andere, beide mittlerweile über achtzig, so als wäre das Stück Geschichte von Nazideutschland bis zum Deutschlandeinig-Vaterland auch die Geschichte der verlorenen Tochter — Steffi Spira ist bis heute Kommunistin. So wurde am Sonntag auf der Bühne des Renaissancetheaters schon vor dem 3. Oktober die Wiedervereinigung gefeiert — man muß wohl sagen: die Heimkehr. Das Rührstück der Verschwisterung blieb jedoch auch am Ende das, was es von Anfang an war: Fiktion.

Dabei spielte der Autor Nikolaus Sombart als Gesprächsführer die Rolle eines anderen Autoren, der einem beliebigen Verlag (beispielsweise Bertelsmann, Mitveranstalter dieser Matinée) das Konzept zu einem Bestseller vorstellt. Titel: Die ungleichen Schwestern. Ein Viertel der Zeit breitete er sich so prosaisch aus, daß den beiden Hauptpersonen seines Romans am Ende nichts mehr zu sagen und den Zuschauern im Parkett nichts mehr zu erfahren übrigbleibt. Zwei Leben reduziert auf zwei Adressen: die Villa in Dahlem und das Rednerpult am Alexanderplatz. An letzterem hielt Steffi Spira am 4. November 1989 eine Rede, die von unserem Erfolgsautor als historisches Ereignis vorgestellt wurde, dem zahlreich erschienenen Publikum jedoch eher als couragiertes offenes Wort in Erinnerung war, das man wohl gerne noch einnmal gehört hätte. Doch dazu sollte es nicht kommen, denn der Erfolgsautor/Gesprächsleiter setzte gegen den Widerstand des Saals (Zwischenrufe: »Steffi! Steffi!«) hartnäckig sein Konzept des Historienromans für Kinder durch und ließ die gute Schwester, Camilla, reden. Diese verbreitete in ihrer Eleganz einen Hauch von Geschichte wie einen Hauch von Chanel, und das Ganze wurde von unserem Erfolgsautor als »Berliner Luft« verkauft. Als Ufa- DEFA-Star und Gattin eines Rechtsanwalts verkörpert Camilla Spira jenes bildungsbürgerliche Berlin, in dem Kultur und Status von jeher schon in einem Glanze strahlten. Sie spielte in den zur Legende gewordenen Filmen Des Teufels General und Rosen für den Staatswanwalt, wußte ihrerseits jedoch besonders von einem, ebenfalls zur Legende gewordenen Film zu berichten: Morgenrot, der erste U-Boot-Film aus Deutschland 1932, dessen ritterliche Kriegsmoral im Feburar 1933 von Hitler, der die Premiere besuchte, zufrieden beklatscht wurde. Camilla Spira bekam den Lorbeerkranz für die Darstellung der »deutschen Frau« und einen Monat später als Halbjüdin Spielverbot. Das war der Moment, als »Hitler, Göring, Goebbels, Himmler und all die fiesen Gesichter« (Camilla Spira) in ihr »großes Glück« traten. Der Nazistaat stellte sich hier als Privatclique dar, denn in ihrer Erinnerung saßen im Parkett »die Berliner«. Dort sitzen sie immer noch, und deswegen ist auch nur wenig Rumoren zu hören, wenn Sombart ganz unverfroren mit Worten wie »Berliner Kulturkontinuität«, den »positiven Entwicklungen hier« (als da sind: »Wirtschaftswunder«, »parlamentarischer Staat«) und den »negativen Entwicklungen dort« (»die Idee war gut, die Methoden schlecht«, »Soziologen konnten doch alles voraussehen«) um sich schlägt. Camilla zupft ein schwarzes Chiffontüchlein und tupft sich die Augen, und nur noch die materialistisch- hartherzigen Gemüter können sich der Rührseligkeit des Heimatschinkens, der da läuft, erwehren.

Der vom Autor nicht genannte Untertitel seines Romans müßte wohl heißen: »Steffi, wie konntest du nur?« Und so holt Camilla auch schon bald in fingierter Privatheit zur entscheidenden Gewissensfrage an ihre Schwester aus: Wie kann man nur nach dem »Fiasko« immer noch auf seinen »Träumen« beharren? — Steffi Spira trat nämlich schon 1923 in die Kommunistische Patei ein und setzte fortan Spiel und Leben auf die Karte ihrer politischen Überzeugung. Gelernt habe sie nicht »bei Piscator«, wie sie den Gesprächsleiter zu korrigieren wußte, sondern in der »Schauspielschule der Genossenschaften deutscher Bühnenangehöriger«. Nach ihrer Emigration kehrte sie in den Ostteil der Stadt zurück und arbeitet dort bis heute an der Volksbühne. Von dieser hinunter nun direkt auf die Bühne des Renaissancetheaters gezerrt, übt sie das, was von guten Genossen immer schon verlangt wurde: Selbstkritik. Für den »Dreck« der stalinistischen Diktatur nimmt sie »Mitschuld«, »Fehler« und »Schande« auf sich, sie habe halt immer zu sehr an der »Theaterfront« gekämpft und deswegen vieles »nicht gewußt«. Rechts und links flankiert von zweien, die die Weltgeschichte seit jeher besser verstanden haben (Schwester und Erfolgsautor), sitzt der kommunistische Koloß an der Rampe, ausgestellt wie im Abnormitätenkabinett, und sühnt die Jugendsünden. Das Enfant terrible ist nach achtzig Jahren endlich eingefangen durch die Sitzordnung. Ihre erste Rolle war eine stumme: ein Mädchen aus dem Gefolge der Kantinenbesitzerin Begbick in Brechts Mann ist Mann. Alfred Kerr schrieb dazu, sie hätte durch das Lächeln zweier Lippen überzeugt. Ihre Rolle in dieser Wiedervereinigungsshow war auch eher stumm, doch fehlte das Lächeln ganz dabei, und was Steffi Spira zu sagen hatte, kann man dann (hoffentlich) in ihrem im Herbst erscheinenden zweiten Buch lesen, das den Titel trägt Rote Fahne mit Trauerflor. Simone Schneider