Der Musterprozeß der Brüder Simenonov

■ DDR-Innenministerium und Polizeipräsidium hebeln Ausländerrecht aus/ Zwei Bulgaren wehren sich

Ost-Berlin. Die beiden Brüder Rossen (28) und Plamen Simenonov (29) aus Bulgarien lassen sich so leicht nicht unterkriegen. In einem Musterprozeß gegen das DDR-Innenministerium und die untergeordnete Behörde Volkspolizei, Abteilung Paß- und Meldewesen, wollen sie ihr Recht auf einen ständigen Wohnsitz in der DDR erstreiten. Sie haben guten Grund, hoffnungsvoll den Ausgang abzuwarten, denn auf den Tisch wird kommen, daß das Diestel-Innenministerium durch verwaltungsinterne Ausführungsvorschriften das Ausländergesetz nach Belieben biegt und verbiegt und daß eine alte SED-Seilschaft auf den alten neuen Posten die von der Volkskammer demokratisch beschlossenen Gesetze torpediert.

Dieser Musterprozß, unterstützt durch das Büro der Ausländerbeauftragten beim Ministerrat der DDR, wird sich noch einige Zeit hinziehen, muß aber, auch wenn es die DDR bald nicht mehr geben wird, noch nach den Gesetzen entschieden werden, die bis zum 3. Oktober galten. Das Ausländerbüro — täglich konfrontiert mit ähnlich gelagerten Fällen — empfiehlt schon seit längerem allen Ausländern, deren Anträge auf ständigen Wohnsitz in der DDR auf Grund interner »Festlegungen und Orientierungen zur Durchführungsverordnung vom 11. Juli 1990« von Innenministerium bzw. Volkspolizei abgelehnt worden sind, ebenfalls vor Gericht zu ziehen.

Eigentlich ist das in der DDR noch geltende Ausländerrecht ganz einfach zu verstehen. Das Begehren der beiden Brüder Simenonov hätte von den Beamten der Volkspolizei-Abteilung Paß- und Meldewesen nach einem kurzen Blick auf das Ausländergesetz von 1979 und die »Wohnsitz- und Durchführungsverordnung vom 11. Juli 1990« ganz routinemäßig positiv entschieden werden müssen. Denn in der zum Gesetzesrang erhobenen Durchführungsverordnung steht unter Paragraph 2 klipp und klar: »Ausländer können einen Antrag auf ständigen Wohnsitz bzw. länger befristeten Aufenthalt in der DDR stellen«, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen und einleuchtende Gründe haben. Die Bedingungen erfüllen die beiden Bulgaren, sie leben seit 1981 bzw. 1983 in der DDR, sie sind weder Kriminelle, noch gefährden sie die »innere Sicherheit« der DDR, und obendrein sind ihr »Lebensunterhalt und eine angemessene Unterkunft« gesichert. Die Gründe sind ebenfalls durch Recht und Gesetz abgedeckt, denn in den Unterparagraphen der Durchführungsverordnung wird ausgeführt, daß neben einer — auch nur beabsichtigten — Ehe oder Familienzusammenführung auch eine »Berufsausbildung, Berufsausübung oder Studium« jemanden dazu qualifiziert, ständig in der DDR zu leben.

Und genau mit diesen Gründen argumentieren die Brüder, denn sie wurden in der DDR zu Diplomingenieuren graduiert und schon vor Jahren als Doktoranden akzeptiert. Dies jedoch wollen die Volkspolizei und das Innenministerium nun nicht anerkennen. Stur bestehen sie darauf, daß die eigenen behördeninternen und nie veröffentlichten »Festlegungen und Orientierungen zur Durchführungsverordnung« Gesetzeskraft haben, die eigene Auslegung zu einem Gesetz also höher zu bewerten ist als das Gesetz selbst. Als einzige stichhaltige Gründe für einen ständigen Wohnsitz in der DDR akzeptieren die Volkspolizei und das Innenministerium die Familienzusammenführung oder eine Ehe mit einem DDR Bürger. In einem Wechselspiel lehnen also die beiden Behörden die Wohnsitzanträge der beiden Bulgaren immer wieder aufs neue ab.

In einem sich seit Wochen hinziehenen Briefwechsel, in einem grotesken Tanz von Eingaben, Ablehnungen, Widersprüchen, Beschwerden, beharren die beiden Brüder auf ihrem Recht. Gestützt durch Gutachten des DDR-Ausländerbeauftragten belegen sie, daß das Innenministerium sich an rechtsstaatlichen Grundsätzen vorbei bewegt, daß es neue Verordnungen, »die den jetzigen Willen des Verordnungsgebers« dokumentieren, in der Praxis nicht berücksichtigt, mehr noch, daß Volkspolizei und Innenministerium ihnen nicht genehme Passagen des Ausländerrechts unterschlagen.

Recheriert haben die Brüder Simenonov auch, daß die mit ihrem Fall befaßten Sachbearbeiter samt und sonders bewährte Mitarbeiter des alten Regimes gewesen sind. Die heute im Paß- und Meldewesen für Ausländerangelegenheiten zuständigen Beamten arbeiteten teilweise vor der Wende bei der Kriminalpolizei, und der für Ausländerrecht im Innenministerium verantwortliche Professor Schüßeler hat nicht einmal den Stuhl gewechselt. Seine Devise sei, sagen die beiden Brüder: Was Recht war, muß Recht bleiben. Sie fordern seinen Rücktritt und den von seinem Vorgesetzten, Innenminister Diestel. Anita Kugler