Von der Wehrpflicht zur Dienstpflicht

■ betr.: "Breite Kampagne gegen die Wehrpflicht", taz vom 14.9.90

betr.: „Breite Kampagne gegen die Wehrpflicht“, taz vom 14.9.90

[...] Was bei diesem Artikel [...] leider unerwähnt bleibt ist, daß das „breite Bündnis“ gegen die Wehrpflicht von den an billigen Dienstleistenden interessierten Kirchen über die Bundesregierung bis hin zum Deutschen Bundeswehrverband geht. Wer zufällig in letzter Zeit die Tageszeitungen gelesen hat, wird um die Erkenntnis nicht herumkommen, daß die Wehrpflicht quasi schon abgeschafft ist. Eine Reduzierung der Truppen auf 370.000 Mann bei einer Übernahme der professionellen Befehlsempfänger aus der DDR heißt im Klartext: Berufsarmee.

Es ist an der Zeit wahrzunehmen, daß der kulturgeschichtliche Drive immer zur Berufsarmee und zur kriegsuntauglichen Dienstpflicht geht. Frondienstpflichten im Mittelalter und viele Steuern in der Neuzeit entstanden aus diesem Prozeß. Entsprechend den Diskussionen in anderen Ländern (zum Beispiel Schweiz) sind die Weichen von einer Umwandlung der „allgemeinen“ Wehrpflicht in eine allgemeine Dienstpflicht, die auch die Frauen umfaßt, längst gestellt. Wenn auch die Dienstpflicht militärisch nutzbar bleibt (Wehrdienst als Teil der Dienstpflicht), so ist diese Umwandlung keineswegs ein Fortschritt, wie Teile der KDV- und Friedensbewegung meinen, sondern eine politische Katastrophe. Die Wehrpflicht ist in Größenordnung und Dienstlänge immer noch aus außenpolitischen Gründen begrenzt gewesen, die allgemeine Dienstpflicht hingegen schafft den rechtlosen „Staatsbürger“, der weder Streikrecht noch Petitionsrecht noch das Recht auf körperliche Unversehrtheit hat (siehe Artikel 12a, 17a Grundgesetz und so weiter). Dieser wird an der inneren „sozialen“ Front eingesetzt, denn diese „Bekämpfung“ von sozialen Problemen und Arbeitslosigkeit wird ein Einstieg in die Spirale weiterer Arbeitslosigkeit (von teuren qualifizierten Sozialberuflern) und von qualitativ neuerer Sozialabfertigung sein, wo zum Beispiel Jugendliche gegen Alte ausgespielt werden.

Statt eines dogmatischen blinden Antimilitarismus ist hier eine genaueste Differenzierung notwendig, die den kleinen, aber entscheidenden qualitativen Schritt von der Wehrpflicht zur Dienstpflicht in seinen Auswirkungen für die Zukunft der Öffentlichkeit demonstrieren kann und genaueste Kenntnisse darüber hat, wo sie falschen Interessen in die Hände arbeitet. Christoph Rosenthal, Ex-Totalverweigerer, Gründer der inzwischen aufgelösten „Initiative gegen die Wehrpflicht“, Witten