Justitia in Amerika

Die gute alte Justitia hat in den USA schwer mit der modernen Zeit zu kämpfen. Ihre Augenbinde verschafft ihr auch keinen Durchblick. So hält sich die Dame mit der Waage weiterhin streng an die Buchstaben des Gesetzes, auch wenn dadurch recht bizarre Urteile zustande kommen. Ein Gericht im kalifornischen Santa Barbara hat z.B. dem 46jährigen Computerexperten Thomas Donaldson die Erlaubnis verweigert, schon zu Lebzeiten seinen Kopf einfrieren zu lassen. Donaldson, der an einem Gehirntumor erkrankt ist, hofft, daß später einmal Wissenschaftler einen Weg finden, seine Krankheit zu heilen. Sein Kopf sollte dann einem anderen gesunden Körper aufgesetzt werden. In den USA ist es nicht verboten, sich nach dem Tod einfrieren zu lassen. Auch könne unheilbar Erkrankten das Recht zugesprochen werden, jede Behandlung abzulehnen, meinte Richter Ronald Stevens. Etwas anderes sei es aber, ein Einfrieren vor dem amtlich bestätigten Tod zu erlauben. Staatsanwalt Jorstad drückte es plastischer aus: „Donaldson kann sich eine Kugel in sein Herz schießen; aber er kann nicht Leute, die mit der Einfriertechnik zu tun haben, veranlassen, diese Kugel in sein Herz zu feuern. Das ist Mord!“ Donaldson geht in die Berufung. „Nach diesen gültigen dummen Kriterien kann mein Gehirn völlig zerstört sein, bevor ich amtlich für tot erklärt werde“, kommentiert er das Urteil. Wenn er mit seinem Wunsch selbst beim höchsten Gericht der USA scheitere, „werde ich beginnen, mich zu Tode zu hungern. Dann kann ich eingefroren werden, bevor mein Gehirn erlischt, und niemand kann strafrechtlich verfolgt werden.“

Manchmal drückt Justitia sogar bei einem Mörder beide verbundenen Augen zu. In Florida hatte Frank Mars zugegeben, seinen Freund getötet zu haben. Während seiner Gerichtsverhandlung legte er ein umfassendes Geständnis ab. Im Prozeßverlauf wurde aber auch ein Polizeiprotokoll vorgelegt, das als weiterer Beweis für seine Schuld dienen sollte. Durch einen Tippfehler in dem Dokument wird Mars aber entlastet, denn statt 12.59 p.m. (12.59 Uhr) war in dem Protokoll irrtümlich 12.59 a.m. (0.59 Uhr) als Tatzeit aufgeführt. Für diesen Zeitpunkt aber hatte der Angeklagte eine Alibi. Er wurde freigesprochen. Als die Staatsanwaltschaft den Prozeß mit korrigierten Dokumenten neu aufrollen wollte, berief sich die Verteidigung auf die Verfassung, die verbietet, daß ein Angeklagter zweimal wegen desselben Verbrechens verurteilt wird. Karl Wegmann