Verfassungsdiskussion in Sachsens Wahlkampf

■ Sachsens Liste Neues Forum/Bündnis/Grüne begann ihren Wahlkampf mit einem Spektakel in der Moritzbastei

Leipzig (taz) — Vielleicht war es das letzte Mal, daß der Name Neues Forum zu Volksspektakel und politischem Palaver rief. Nach den Einigungsquerelen der letzten Wochen, in denen das Neue Forum nach zeitweiligen Alleingangsbestrebungen schließlich wieder in den Schoß der Liste Grüne/Bündnis zurückkehrte, ist die Krise der ersten großen Bürgerbewegung erneut offenbar geworden. Die Abgrenzungsbestrebungen des Neuen Forums haben eher das Gegenteil zur Forderung erhoben: eine Bürgerbewegung zusammenschließen, die keine, sich eitel voneinander profilierende Organisation mehr kennt. Den Jahrestag der Wende wird die Wendeschar per excellence daher vermutlich nicht mehr als Neues Forum erleben. Am 22. September wird die sächsische Landesorganisation ihren Heimgang beschließen und das kurz darauf folgende Republikforum mit einem Auflösungsantrag konfrontieren.

Zunächst gehen derart schmerzhafte Prozesse jedoch im Wahlkampf unter. Am vergangenen Sonntag war die Leipziger Moritzbastei zum Wahlkampfauftakt mit Volksfest durchzogen und es war den verschiedenen Räumlichkeiten gemäß allerlei thematisches Gespräch angerichtet worden. Das ging von kommunaler Energieversorgung, Umweltschutz, Frauenhaus, Stasi-Akten, Paragraph 218, Kinderschutz bis zur neuen sächsischen Verfassung. Und wie es sich für eine in dutzenden Initiativen aufgesplitterte Bürgerbewegung gehört, war denn auch die Beteiligung zuweilen mehr als bescheiden. Zu dem rechten Auflauf kam es erst am Abend, als sich vor Funk und Fernsehen bekannte Politiker zu einem Forum zusammenfanden. „Sachsen in guter Verfassung“ sollte die Veranstaltung heißen und unter diesem Titel hatten sich Wolfgang Ullmann (DJ), Werner Schulz (NF), Gerald Häfner (MdB Grüne), der sächsische Listenerstling Martin Böttcher, Gunda Behnisch (UFV) und Soziologieprofessor Dienel aus Wuppertal versammelt. Die sächsische Listenverbindung hat sich das Verfassungsthema nicht umsonst in die Wahlkampfdebatte geholt. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben hier schon früh ausgesprochene Bürgerrechtsbewegungen, Initiativen für direkte Demokratie und ähnliches auf den Plan gerufen. Insofern konzentrierte sich ein großer Teil der Diskussion in der Moritzbastei erst einmal auf das „verfassungsmäßige Entstehen der Verfassung“, wie Ullmann es ausdrückte. In Sachsen konkurieren derzeit mehrere Verfassungsentwürfe, von denen dem Gohrischen Entwurf (nach dem Entstehungsort), einem Behördenentwurf, auf Grund der politischen Kräfteverhältnisse die größten Chancen eingeräumt werden. Abgesehen von der Tatsache, daß es schon etwas Ignorantes hat, wenn eine Verfassung von den Organen ausgearbeitet wird, die künftig danach arbeiten sollen, fällt der Gohrische Entwurf hinter Errungenschaften der modernen Rechtsentwicklung zurück. Diesem „erzreaktionären Entwurf“ steht ein Entwurf von Leipziger Hochschullehrern entgegen, der sich an die reformierte Verfassung von Schleswig- Holstein anlehnt. Rechte der Kommunen und Rechte der Opposition, die Möglichkeiten einer direkten Demokratie sind hier wesentlich berücksichtigt. Stefan Schwarz