INTERVIEW
: "Keine neue Extrawurst für die Berliner"

■ Interview mit Berlins CDU-Chef zur Wehrpflicht: Diepgen setzt auf Zeit und schließt Ausnahmeregelung für Berliner aus

Während sich der rot-grüne Senat für eine gesetzliche Übergangsregelung für die Berliner bei der Wehrpflicht ausspricht — alle, die am 3. Oktober älter als 16 sind, nicht zum Bund —, fährt die Hardthöhe bislang die harte Linie: Wehrpflicht für Berlin, ohne Ausnahme. Keine Extrawurst für Berliner, dröhnen CDU-Hardliner wie Heinrich Lummer. Doch aus den Zwischentönen aus Bonn ist schon herauszuhören, worauf die Sache hinauslaufen wird: eine »praktische« Regelung, die Leute werden einfach nicht eingezogen, wenn es soweit ist. Bei schrumpfender Bundeswehr, zerschmolzenen Feindbildern und angekratztem Image der Armee wird sich vermutlich niemand mehr mit den Berliner »Altfällen« über 20 anlegen wollen. Wie steht die Westberliner CDU zu der Sache? Die taz sprach mit Oppositionschef Eberhard Diepgen.

taz: Wie sieht Ihre Position zur Wehrpflicht in Berlin denn nun aus, Herr Diepgen?

Diepgen: Ich bin der Auffassung, daß für die Berliner eine Rechtssicherheit geschaffen werden muß — und zwar durch klare Positionen, die auch das Bundesverteidigungsministerium deutlich machen muß. Ich bin der Auffassung, daß diejenigen, die im Alter über 17 sind und nach den Regeln, die jetzt in Kraft treten, wehrpflichtig würden, ausgeklammert werden müssen. Aus ganz pragmatischen Gründen: Erstens muß ja in West-Berlin die Wehrverwaltung erst noch aufgebaut werden, und zugleich wird ja die Bundeswehr-Sollstärke reduziert werden. Zweitens bin ich der Meinung, daß im Grunde nur diejenigen in die Wehrpflicht hineinwachsen, die jetzt neu in dieses Alter kommen. Drittens betrifft dies aber nur die Berliner — nicht die, die sich auch nach entsprechenden Bescheiden der Wehrersatzämter nach Berlin abgesetzt haben.

Wehrflüchtlinge sollen also nicht so einfach davonkommen?

Ja, das ist richtig.

Welchen Stichtag soll es denn für die über 17jährigen geben?

Der Stichtag ist der Tag, an dem die Bundeswehrverwaltung erklärt, daß nur diejenigen damit rechnen müssen, zur Bundeswehr gezogen zu werden, die neu in das Wehrpflichtalter hineinwachsen. Der Unterschied zu den Vorstellungen des Senats ist also vom Ergebnis her gegen Null — wenn man die Wehrflüchtlinge einmal ausnimmt. Es soll eine pragmatische Lösung sein, damit die Berliner Sicherheit für ihre Lebensplanung haben. Keine neue Extrawurst für die Berliner.

Die Bundesregierung beziehungsweise die Hardthöhe müßte sich also entsprechend erklären. Aber ihr Parteifeund Verteidigungsminister Stoltenberg hat sich ja in dieser Richtung noch nicht deutlich geäußert.

Herr Stoltenberg hat formuliert, daß der Aufbau der Wehrersatzämter vor 1992 nicht abgeschlossen sein kann, das heißt, vor 1992 wird diese Frage hier in Berlin nicht relevant. Angesichts des Abbaus der Sollstärke der Bundeswehr im Rahmen der gesamten Abrüstungsbemühungen halte ich es für wahrscheinlich, daß alle diejenigen, die in den letzten Jahren keine Bescheide der Wehrersatzämter bekommen haben, nicht gezogen werden — ob sie nun in München wohnen oder in Hamburg. Dies würde im Ergebnis auch für Berlin bedeuten, daß nur die betroffen werden, die neu in das Alter hineinwachsen. Interview: kotte