Krach am Neujahrsfest

■ Jüdische Festtage zum erstenmal seit 1953 in Ost-Berlin/ Galinski kritisiert de Maizières Entscheidung, Adass Jisroel als Gemeinde anzuerkennen

Berlin. Rosch Haschana und Jom Kippur, Neujahr und Versöhnungsfest, sind die wichtigsten jüdischen Festtage. Ab heute und bis Freitag feiern die Juden den Beginn des Jahres 5751. Zum erstenmal seit 1953 finden die Andachten in der Ostberliner Synagoge in der Rykestraße statt. Rosch Haschana ist ein Tag des Nachdenkens über das vergangene Jahr und Anlaß für viele große Festessen. Insbesonders Feigen kommen auf die Festtafel, mal mit Lamm und mal kandiert.

Feigen ganz anderer Art, nämlich Ohrfeigen, teilte Heinz Galinski, Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, auf dem Presse-Neujahrsempfang in Ost- Berlin aus. Neben scharfer Kritik an der Präambel zum Einigungsvertrag (siehe auch Seite 4), kritisierte er auch den Ministerrat der DDR und ganz speziell Lothar de Maizière. »Aus völlig unverständlichen Gründen« habe er die orthodoxe jüdische Gemeinde in Ost-Berlin, Adass Jisroel, zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erklärt und sie wieder in ihre alten, wie Galinski sagt, »vermeintlichen Rechte« eingesetzt. Darüber hinaus habe er Adass Jisroel Vermögen und Grundstücke zugesprochen, auf die die »vermeintliche Nachfolgeorganisation« gar keinen Anspruch hat.

Galinski wirft dem jetzigen Gemeindevorstand Mario Offenberg vor, daß er in provokanter Weise das »Andenken der ehemaligen berühmten Berliner Gemeinde mißbraucht«. Als Beleg für seine Behauptungen führt Galinski an, daß die »Gesellschaft zur Förderung der Adass Jisroel in Israel« im Juli alle Mario Offenberg gegebenen Repräsentationsvollmachten zurückgezogen habe und dies auch Lothar de Maizière und Frau Bergmann-Pohl mitgeteilt habe.

Offenberg hält diesen ganzen Streit und vor allem den Versuch, der jetzt arbeitenden Gemeinde die Grundlage zu entziehen, für ein »abgekartetes Spiel«. Die jetzige seit 1989 existierende Gemeinde wäre die legitime Nachfolgegemeinde, lebt und betet in der alten Tradition. Es gäbe einen Rabbiner, einen Kantor, das rituelle Bad und die Totenhalle auf dem in Eigenarbeit rekonstruierten Gemeindefriedhof würde im Dezember fertiggestellt sein. Das Gemeindeleben wäre überaus lebendig, sagte Offenberg. Für die jüdischen Emigranten aus der Sowjetunion gäbe es gar eine Teestube und immer mehr von ihnen würden sich auch an Gottesdiensten in der Synagoge beteiligen. Galinski würde in Personalunion mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland versuchen, die Gemeinde zu zerstören, um das Vermögen der Claims Conference zuzuschanzen. Die Angriffe gegen Adass Jisroel wären ein Versuch, ein lebendiges und aktives Judentum zu unterdrücken. „Galinski will uns ein zweites Mal vernichten“, sagte Offenberg.

Ein weiterer Kritikpunkt Galinskis betraf die Behandlung der aus der Sowjetunion in die DDR ausgereisten Juden. Seit dem 18. April würden die sowjetischen Juden weder eine Eingliederungshilfe noch Sozialhilfe bekommen. Wohnungen seien bisher von der Kommunalen Wohnungsbaugesellschaft nicht zur Verfügung gestellt, in Marzahn würden sich nach wie vor Hunderte von Familien in provisorischen Arbeiterwohnheimen drängeln. »Es genügt nicht, die sowjetischen Juden zwar zuwandern zu lassen, ihnen aber die Lebensexistenz zu rauben.«

Galinski erinnerte ferner an die Absichtserklärung des Ministerrats der DDR, den jüdischen Gemeinden das »erst arisierte, dann SEDisierte« Gemeindeeigentum wieder zurückzugeben. In Ost-Berlin würde heute noch Gemeindeeigentum, wie ehemalige Altersheime und Krankenhäuser, von DDR-Dienststellen zweckentfremdet. Weil die Jüdische Gemeinde Ost-Berlin ab dem 1. Januar 1991 in die Jüdische Gemeinde West-Berlin integriert wird, sind Entschädigungszahlungen notwendig, um die Gemeindearbeit zu finanzieren.

Der bedeutendste Nachlaß der Jüdischen Gemeinde Ost-Berlin, das Centrum Judaicum, wird, wie Hermann Simon von der »Stiftung Centrum Judaicum« mitteilte, ab sofort unter die Trägerschaft des Zentralrates der Juden in Deutschland gestellt. Der Stiftungscharakter soll aber beibehalten werden. aku