Freiflug vom Dach

■ Bericht von der zweiten Straubinger Knastrandale/ Die Straubinger Gefangenen werden keine Ruhe mehr geben!

Am Donnerstag, den 2.August, um 17.15 Uhr, waren an die 100 Gefangene im Straubinger Knasthof versammelt, die nicht vom Hofgang in ihre Zellen zurückkehren wollten. Alle Eingangstüren in die Häuser I und II waren geschlossen. Und ruckzuck lief auch schon die erste Dachbesteigung in Straubing. Aus einer herumliegenden Kabeltrommel wurde ein Kletterseil gemacht, dazu kam noch eine Absperrungsleine, die im Schwimmbad festgemacht war, als zusätzliche Kletterhilfe. Und die Kletteraktion begann. Sie dauerte ungefähr eine Stunde. Auf dem Dach waren 103 Gefangene, im Hof weitere acht Häftlinge, die uns mit Wasser, Kleidungsstücken, Kaffee, Tabak und anderen Utensilien versorgten, die von Gefangenen aus dem Fenster geschmissen wurden. Durch einen selbstgebauten Aufzug wurden sie aufs Dach gezogen. An dieser Stelle: Dank an alle, die uns versorgt, verpflegt und geholfen haben!

Auf dem Dach entwickelte sich eine unbeschreibbare Freundschaft zwischen uns. Ein jeder half dem andern so gut es ging und tat, was in seiner Macht stand. Solche hilfsbereite Gemeinschaft hatte es schon lange nicht mehr in einem Zuchthaus gegeben. Denn bei uns herrschte Harmonie und Verständnis für jeden, der sich das Herz genommen hatte und mit aufs Dach gestiegen war. Ein Maler machte aus einem Bettlaken ein Band, auf dem stand: „Keine Gewalt“. Wir machten dieses Band auf dem Dach des Schulgebäudes am First fest. Unten sahen wir, das sämtliche Beamte, ob Betriebs-, normale Beamte oder Sicherheitsbeamte sich versammelten. Sie saßen teilweise vor der Druckerei, oder sie standen in verschiedenen Positionen auf dem Knastgelände herum. Sie sahen auch das Band.

Als es dunkel wurde, rückte die Feuerwehr mit einem Anhänger mit Scheinwerfergestänge an. Die eine Seite des Schulgebäudes wurde jetzt taghell. Und das alles geschah unter unserem Beifall und dem Ruf: „Keine Gewalt“. Kurz nach Mitternacht rückten die ersten Einheiten der starken fünf bis sechs Hundertschaften der Bereitschaftspolizei an. Nun wurde es langsam interessant. Wir waren alle gespannt, wie sie es bewerkstelligen wollten, uns vom Dach zu holen.

Übrigens, das habe ich vergessen zu sagen, ist der Herr Zwickenpflug um zirka 22 Uhr an uns herangetreten und wollte mit drei von uns gewählten Sprechern verhandeln. Doch darauf sagten wir, wir wollten nur mit den zuständigen Behörden sprechen. Aber von diesen Herren ließ sich die ganze Zeit keiner blicken. Auch ein Megaphon und ein Sprechfunkgerät, die wir gefordert hatten, wurden uns nicht gewährt. Auch was die Anstaltsleitung später behauptete, daß die Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner anwesend sei und mit uns verhandeln wolle, stimmte nicht. Wir hatten keine Beamten des Justizministeriums zu Gesicht bekommen.

Die Bereitschaftspolizisten hatten jetzt begonnen, die Fenster zu verdunkeln und zu verbarrikardieren. Man hörte sie nur ganz leise miteinander reden. Dann hörten etliche von uns ein Gehämmer, das aus einem Raum zu uns drang. Später stellte sich heraus, daß sie ein Podest zusammengezimmert hatten. Doch zur Zeit waren wir im ungewissen, was sie machten. Die Lage spitzte sich allmählich immer mehr zu. Es rückten immer mehr Einsatzfahrzeuge der Bereitschaftspolizei an. Sie riegelten das Gebäude ab und wahrscheinlich auch die Knastmauern. Dann wurden plötzlich Leuchtraketen abgeschossen, und wir dachten, nun geht der Tanz los. Doch später hieß es in der Zeitung, es seien Sympathisanten der RAF-Gruppe gewesen, die auch die Außenmauer mit Parolen gespickt hätten. Von anderen Kreisen war zu hören, es handelte sich um Zivilfahnder der Polizei, die die Situation anheizen wollten.

Wir verbarrikadierten sämtliche Oberlichter des Schulgebäudes und mußten nun jeden Augenblick damit rechnen, daß sie mit dem Sturm begannen. Doch die ließen sich ungemein viel Zeit. Um zirka 5.30 oder sechs Uhr begann die Aktion der Polizei. Zuvor sagte noch ein Sprecher der Anstalt, wir hätten ab sofort 15 Minuten Zeit, das Dach freiwillig zu räumen, dann schreite die Polizei ein. Hierauf meldeten sich ungefähr 15 bis 20 Häftlinge, die das Dach freiwillig verlassen wollten.

Nun trat die Bereitschaftspolizei in Aktion. Sie zerschnitt mit schwerem Gerät ein Gitter vor einem Fenster, und die ersten Häftlinge verließen freiwillig das Dach. Als alle weg waren, warteten die Polizisten noch fünf Minuten. Plötzlich hörten wir in der Luft ein Rauschen. Und mit einem Mal waren drei Polizeihubschrauber da. Sie schwebten über dem Schulgebäude in einer Höhe von zirka 30 Metern. Sie sollten uns ablenken, was sie auch schafften. Denn ein jeder dachte, jetzt bricht der Krieg aus. Wir verließen unsere Plätze und gaben damit auch die Bewachung der gesicherten Oberlichter auf. Von einer Dachluke aus dem gegenüberliegenden Haus oder durch die Hubschrauber wurde sofort weitergegeben, daß die Dachkuppeln nicht mehr besetzt seien. Und nun trat die Polizei in Aktion. Sie schlugen, wahrscheinlich mit Feuerwehräxten, die Oberlichter ein und kamen raus. Andere kamen durch das schon entfernte Gitter aufs Dach gestürmt. Ich war einer der ersten, die den Sturmlauf abbekamen. Diejenigen von uns, die auf dem Küchendach waren, wurden angebrüllt: „Hinlegen und nicht bewegen!“ Dann wurden wir einzeln geschnappt und zu dem ausgeschnittenen Gitter gebracht.

So, von nun an kann ich nur schreiben, was mir passiert ist. Ich wurde ins Fenster reingezogen, flog auf das zirka eineinhalb Meter tiefe Podium und wurde nach Waffen durchsucht. Dann schnappten mich zwei Polizisten und brachten mich in das Zimmer neben der Anstaltsbücherei. Dort ging der Tanz erst richtig los. Ich mußte mich bis auf die Unterhose ausziehen, meine Sachen wurden wiederholt nach Waffen durchsucht, und das alles vor zirka 50 Beamten der JVA Straubing. Sie ließen jetzt ihre angestauten Aggressionen an uns aus.

Ich wurde dann zum Abtransport in die Absonderungszelle gebracht. Doch bevor ich das Zimmer verließ, kam ein JVA-Beamter zu den beiden Polizisten, die mich schon im schweren Polizeigriff hatten (linker Arm bis auf die Schulter hochgedreht und die rechte Hand in einem Karategriff, mit dem er mir bei der kleinsten Bewegung das Handgelenk hätte brechen können), und sagte zu diesen: „Ihr braucht die Drecksau nicht so behutsam anfassen“, schlug mit seinem Knüppel ziemlich grob auf meinen linken Oberschenkel (den Flecken hatte ich noch bis Sonntag), das Kommando packte mich jetzt und wollte mich gerade abführen, da bekam ich vom selben Beamten sozusagen als Zugabe zwei Tritte in den Arsch. Ich wurde dann runtergeschleift ins Haus II, in die Absonderungszelle. Dort wurde ich nochmals nach Waffen durchsucht. Dann betrat ich die Zelle im sogenannten Freiflug, landete kurz vor der Wand. In der Zelle waren wir zehn Mann.

Ich weiß die Uhrzeit nicht, als sie uns aus der Zelle einzeln rausholten. Ich wurde aus der Zelle geholt, gegen die Tür geschmissen, wieder durchsucht und wieder im schweren Polizeigriff (mit einem Schlag ins Kreuz, weiß aber nicht, was das für ein Beamter war und wie er hieß) zum Schubbus gezerrt. Bevor ich einstieg, wurde ich wieder gefilzt. Diesmal nahm man mir meinen Tabak und mein Feuerzeug ab, dann wurde ich fotografiert, dann ging es ab in den Schubbus. Die Kabine betrat ich auch im Freiflug und schlug mir dabei fast das Gesicht an der Wand kaputt.

Nun mußten wir warten, bis alle in den angeforderten Bussen untergebracht waren. Dann ging es los. Es wurde wahrscheinlich einer der schwerbewachtesten Transporte überhaupt. Die Busse wurden von fünf (glaube ich) VW-Bussen der Polizei begleitet. Ab und zu kreisten zwei Polizeihubschrauber über uns, bis wir in Stadelheim gelandet waren. Dort wollten sie wieder mit dem rücksichtslosen Ausladen beginnen, doch ich hörte, wie einige Stadelheimer Beamte sagten: „Bei uns geht sowas nicht!“

Wir verließen also den Bus ganz normal. Wir wurden vorläufig in Schubzellen untergebracht, bis alle aus den Bussen waren. Dann wurden wir in Zellen verlegt, vorher wurden wir fotografiert. Wir hatten Freitag, Samstag und Sonntag keinen Hofgang und keine Mittel, um schreiben zu können. Doch dieses Problem wurde am Montag beseitigt. Seit Montag haben wir Hofgang und Duschen zweimal die Woche. Uns haben sie auch einen Sondereinkauf genehmigt.

Doch das andere läßt zu wünschen übrig. Die Anstaltsleitung hier hat bis jetzt nur einige Punkte eingehalten, die sie uns versprochen haben. Wir sind hier 23 Stunden auf der Zelle, sind Strafgefangene, haben keinen Aufschluß und nur einmal, eventuell, Umschluß in der Woche. Wir werden also noch kürzer gehalten, als Untersuchungsgefangene. Unsere Sachen, die in unseren Zellen in Straubing waren, wurden alle nach Stadelheim nachgeschickt. Doch uns gehen etliche Sachen ab, es wurden auch mutwillig Sachen kaputt gemacht. Wir werden wahrscheinlich alle Strafanzeige gegen die JVA Straubing stellen; die denen Sachen kaputtgemacht worden sind, wegen Sachbeschädigung.

Wir wissen überdies nicht, was mit uns geschieht. Wie lange wir hier bleiben müssen, ob wir nach Straubing zurück müssen und wie es überhaupt weitergehen soll. Wir haben im Radio gehört, daß es am 8.8.90 jetzt fast wieder zu einer Revolte gekommen wäre (Drohung mit Geiselnahme und mit Brandanschlägen in den Betrieben). Die im Justizministerium hocken auf ihrem fetten Arsch und denken sich, irgendwann geben sie schon Ruhe. Da haben sie sich wahrscheinlich gebrannt, denn in Straubing wird es so schnell nicht mehr ruhig werden. Ihre Hinhaltetaktik können sie mit uns nicht mehr durchziehen. Wir wissen jetzt, was Sache ist, und geben nicht eher Ruhe, bis menschenwürdige Zustände herrschen.

Der Vollzug war ja teilweise noch aus dem Mittelalter. Und wir wurden nur die ganze Zeit über getröstet. Warum ließ denn Frau Mathilde Berghofer-Weichner den Untersuchungsausschuß nicht in den Knast? Da wären dann sämtliche Mißstände herausgekommen, die dort herrschen. Sie hat zwar noch die Macht, das ist aber nur noch eine Zeitfrage. Ich glaube kaum, daß sie ihren Posten noch lange innehat. Denn die Öffentlichkeit wird sich auch langsam fragen, was ist eigentlich dort in Straubing los. Und sämtliche Medien reden ja fast nur über das Thema Straubing. Also muß ja was dran sein an unseren Beschwerden und Forderungen. Doch wir wurden die ganze Zeit nur verarscht und hingehalten.

Wünsche allen Straubingern, daß sie es auch weiterhin ohne Gewalt packen. Und Kopf hoch. Wir werden das Kind schon schaukeln. Bis jetzt haben wir es ja auch geschaukelt. Also, macht es gut, bleibt gesund und laßt Euch nicht unterkriegen. Es grüßt Euch Hans-Jürgen Hoffmann (ehemals Straubing, Haus II, A2)