Der Razzia folgen Angst, Not und Scham

Frankfurter Frauengruppen protestieren gegen die Abschiebung lateinamerikanischer Prostituierter/ Opfer der „erfolgreichen“ Razzia allein die Frauen — Zuhälter kommen unbeschadet davon/ Kolumbianischer Presserummel versetzt die Frauen in Angst  ■ Aus Frankfurt Heide Platen

Die 24jährige kolumbianische Prostituierte X. fand ihren Job selbst „widerlich“. Sie arbeitete für einige Wochen im Bordell Breite Gasse 1 in der Frankfurter Innenstadt. 30 Mark kassierte sie pro Freier, 150 Mark Miete und Service zahlte sie täglich an den Wirtschafter des Hauses. Der Notruf-Knopf in ihrem Zimmer kostete pro Bedienung noch einmal 20 Mark extra. Das Haus gehört Arnold Düll, der seit einer geraumen Weile mit der Stadt Frankfurt im Clinch liegt. Er eröffnete den Puff nach der geänderten Sperrgebietsverordnung des alten CDU-Magistrats, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, das Bahnhofsviertel vom Rotlichtmilieu zum Nobelkarree umzuwidmen. Der nachfolgende SPD-Magistrat sah sich dann mit dubiosen Grundstücksgeschäften zwischen der Kommune und dem Spekulanten Hersch Beker konfrontiert, der sich den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft durch die Flucht nach Israel entzog.

Das Haus in der Breiten Gasse, in der in den oberen Stockwerken noch eine Familie mit Kind wohnt, steht inzwischen leer. Die Kolumbianerin X. war eines der Opfer einer Großrazzia von Polizei und Ordnungsamt, die dieses und vier weitere Bordelle im August auf einen Schlag leerräumten und dann den „großartigen Erfolg“ ausgiebig feierten. 120 Frauen waren hier und im Bahnhofsviertel festgenommen, die meisten gleich am nächsten Tag in ihre Heimatländer abgeschoben worden.

Presserummel und Gesichtsverlust

Inzwischen warten Frankfurter Frauengruppen, die sich um das Schicksal der Prostituierten — deren „individuelle Dramen“ — kümmerte, voller Sorge auf Rückmeldungen.

Zum Beispiel der 70 Frauen, die damals mit einem von den Ordnungsbehörden gecharterten kolumbianischen Flugzeug nach Bogota ausgeflogen worden und dort — wie inzwischen bekannt wurde — sofort erkennungsdienstlich behandelt worden waren. Der stellvertretende Chef des Ordnungsamtes, Günther Wassermann, hatte selbst schon vorsichtig Bedenken angemeldet. Ob die Frauen die 150 Mark „Überbrükkungsgeld“ behalten könnten, die sie bei der Ankunft in ihrem Heimatland ausgehändigt bekommen sollten, sei fraglich. Er hoffe, daß sie das Geld „nicht gleich wieder von den Zuhältern abgenommen bekommen“.

Das sei, sagt die Mitarbeiterin der agisra (AG gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeitung), Diana Hummel, wahrlich nicht das größte Problem der Frauen gewesen. Viel schlimmer sei es für sie, daß die Razzia in der kolumbianischen Presse ausgiebig breitgetreten worden sei und daß die Frauen deshalb mit einem „heißen Presseempfang“ rechnen mußten. Sie seien aus materieller Not in die Bundesrepublik gekommen, ihre Familien, die die Kinder versorgten, hätten nichts von ihrer Tätigkeit gewußt. Das sei für die meist katholischen Frauen ein „wahnsinniger Gesichtsverlust“. Außerdem hätten sie, die auch aus den Drogenhochburgen Medellin und Cali stammten, Angst vor der dortigen Mafia, Angst vor dem Verdacht, sie hätten bei der deutschen Polizei Aussagen gemacht oder könnten ihr Wissen über den Frauenhandel zukünftig noch benutzen.

Die Frauen sind nun schwer verschuldet. Sie haben für den Flug nach Europa und die Vermittlung schon in Kolumbien hohe „private“ Kredite aufgenommen. Die meisten kamen nach der Landung in Amsterdam illegal über die Grenze in die Bundesrepublik. Sie zahlten für diesen Service 1.000 oder 2.000 Mark „an einen Señor“. In Frankfurt mußten sie die Pässe an den Bordell-Wirtschafter abgeben, der diese, ganz legal, zur Meldebehörde brachte. Der nachfolgende Behördenweg um die Aufenthaltserlaubnis nimmt — den anwaltlichen Widerspruch gegen Ausweisungsbescheide eingeschlossen — einige Wochen in Anspruch. Kurz vor Ablauf der Frist werden die Frauen im Ringtausch in andere Städte, zum Beispiel nach Mailand oder Neapel, transportiert.

Die Kriminalpolizei vermutet, daß der Chef der Menschenhändler Kolumbianer ist und in den Niederlanden residiert. Auch in Frankfurt soll es, Gerüchten zufolge, eine kolumbianische Chefin geben, die „die Queen“ genannt wird. Informationen über geplante Razzien erhalten die Bosse in Bogota offensichtlich auch immer dann über Angestellte der Fluggesellschaft „Avianca“ , wenn deutsche Behörden vorab eine Maschine chartern. Wassermann verbuchte es als Erfolg, die Fluglinie durch eine falsche Information in die Irre geführt zu haben.

Agisra sieht das anders. An den abgeschobenen Frauen, die jetzt um ihr Leben fürchten, hätten in den Wochen ihres Aufenthaltes die drahtziehenden Kreditgeber, die Schlepper, die Bordellbesitzer reichlich verdient. Nur die Frauen stünden jetzt als blamierte Opfer und ohne Geld vor einem lebensgeschichtlichen Scherbenhaufen. Der angeblich so sensationelle Fahndungserfolg, der da öffentlich gefeiert und vom Frankfurter Oberbürgermeister Volker Hauff (SPD) gutgeheißen und gelobt worden sei, habe keinen einzigen Bordellbesitzer und keinen Zuhälter getroffen. Leidtragende seien einzig und allein die Frauen. Sie fordern, die Frauen künftig nicht abzuschieben, ihnen Zufluchtswohnungen anzubieten und den „weichen“ Menschenhandelsparagraphen zu verschärfen. Die Frauen müßten so abgesichert werden, daß sie „aus dem Teufelskreis ausbrechen“ und den Mut finden können, als Zeuginnen auszusagen. Das Frankfurter Frauenreferat hat inzwischen eine interne Arbeitsgruppe gebildet, die verhindern soll, „daß sich so etwas wiederholt“.