Galinski weint DDR keine Träne nach

■ Jüdische Verbände aus Ost und West vereinigt/ Galinski kritisiert Volkskammer und Ministerrat

Berlin (taz) — Ab heute feiert die jüdische Gemeinschaft ihr Neujahrsfest Rosch Haschana 5751. Wie alljährlich ziehen die Juden zu dieser Zeit rückblickend Bilanz. Viel zu bilanzieren hat, drei Wochen vor der Vereinigung Deutschlands, der Zentralrat der Juden in Deutschland. Vor wenigen Tagen hat sich der Verband der jüdischen Gemeinden in der DDR dem Zentralrat angeschlossen, die einzelnen jüdischen Gemeinden in der DDR werden sich auf Länderebene neu organisieren. Der Zentralrat der Juden vertritt demnach ab sofort „alle jüdischen Gemeinden in ganz Deutschland“, insgesamt mehr als dreißigtausend jüdische Menschen.

Vehement kritisierte am Dienstag der Direktoriumsvorsitzende Heinz Galinski die alte und neue DDR. „Ich weine dem DDR-Staat keine Träne hinterher“, sagte er. „Jede Stunde DDR ist eine Stunde zuviel.“ Als einen „unfaßbaren Skandal“ bezeichnete Galinski, daß bis zum Widerspruch des Zentralrates am 20.August die Gegner Israels, vor allem Libyer, in der DDR militärisch ausgebildet wurden. Die Schulderklärung der Volkskammer vom 12.April gegenüber dem israelischen Volk seien „leere Versprechungen“, wenn gleichzeitig die Feinde Israels aufgerüstet würden.

Genauso hart ging Galinski mit der Volkskammer ins Gericht. Beamte des Bundesinnenministeriums hätten ihn informiert, daß der Vorstoß des Zentralrates, einen Hinweis auf die Einmaligkeit der nationalsozialistischen Verbrechen in die Präambel zum Einigungsvertrag aufzunehmen, im wesentlichen am Widerstand der Volkskammer gescheitert sei. „Wenn das wahr ist“, sagte Galinski, „dann ist die Schulderklärung der Volkskammer nur ein Stückchen Papier.“

Die Denkschrift der Bundesregierung zur Präambel, in dem die Verbrechen des Nationalsozialismus mit den stalinistischen Verbrechen gleichgesetzt werden, bezeichnete Galinski als eine „Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus“. Während im Ausland dieser Streit breit diskutiert und als böses Omen für einen Neubeginn gewertet wurde, schweigen sich die Verantwortlichen in beiden deutschen Staaten aus. „Man kann keinen Neubeginn machen, ohne sich an der Vergangenheit zu orientieren.“

DDR-Medienminister Müller bestätigte während der Pressekonferenz Galinskis Vorwürfe: Er könne sich nicht erinnern, so Müller, daß die Volkskammer die Präambel im Sinne des Zentralrats disputiert habe, sei aber selber der Meinung, „daß die Präambel nicht der richtige Ort sei, die Vergangenheit zu behandeln“.

Ganz im Sinne bisheriger Gedenkredenrituale bestätigte der Minister den bösen Verdacht, daß nur tote Juden gute Juden sind: Für den wichtigsten Länderbeitrag für eine Reaktivierung des jüdischen Lebens in der DDR hält Müller „die Pflege der jüdischen Friedhöfe“. Anita Kugler