Ähnlichkeit mit Lebenden beabsichtigt

■ „Zielperson unbekannt“: Der neue Roman von Jürgen Alberts aus dem Verfassungsschutzmilljöh

Köln. Bundesamt für Verfassungsschutz. Sachgebiet 105, „Fälle ohne nachrichtendienstlichen Hintergrund“. Ein sogenanntes „Nonsensreferat“, in dem für untauglich befundene Spione den Tag mit Beschäftigungstherapie zubringen. Und vor lauter Amtsüberdruß überlegen, was für einen Knaller sie denn selbst einfädeln könnten, um schlußendlich als gute Verfasssungsschützer belobigt und versetzt zu werden.

In dieser real existierenden Amts-Umgebung läßt der Bremer Schriftsteller Jürgen Alberts seine vier Romanhelden Tappert, Bach, Nutzke und Gönnerwein an den „billigen Holzschreibtischen“ nebst Gummibaum und zwei Telefonen Platz nehmen. Eine kleine amtsinterne Zeitbombe, die zu ticken anfängt: Die vier langweilen sich, vertreiben sich im ersten Kapitel die Zeit mit Kreuzworträtsel-Wettbewerben. Dann wird die erste Idee geboren: Man könnte doch dem Schriftsteller W.(allraff), von den verschiedensten Diensten monatelang ohne Ergebnis observiert, eine Wanze ins Haus setzen und ihn so lange und so intensiv beobachten, bis er sich schließlich doch was zuschulden kommen lasse. Diese Idee findet keine allgemeine Zustimmung. Dafür eine andere: Die vier holen den Punk Klaus Bendix aus dem Gefängnis, sorgen dafür, daß er unter falschem Namen in einem AKW arbeitet und stecken ihm eine Pistole zu. Die Eskalation ist da. Und der Spannungsbogen, der eine das Buch auf den letzten hundert Seiten nicht mehr aus der Hand legen läßt, auch. Und die Leserin muß sich bei darauf gefaßt machen, daß ihr Herz mit den ehrgeizigen Verfassungsschützern schlägt.

In die Anfänge des Buches muß sich die Polit-Thriller-LeserIn allerdings erst einmal einwühlen. Denn erstens hat der Autor außer dem Referat 105 inklusive seinem Doppelagenten noch andere Helden erfunden: den Präsidenten des Amtes, den Journalisten Max Esser und den gefangenen Punk Klaus Bendix. Diese Helden- Stränge wollen erst einmal getrennt entwickelt sein. Und zweitens hat der Autor die Verfassungsschutz-Skandale der 70er und 80er Jahre teils kunst-und humorvoll, teils etwas hölzern in seine Kapitel eingebaut. Ein jedoch sehr lobenswertes Unterfangen, da es einer vor Augen führt, daß der Roman über 105 wahrlich keine reine Fiktion ist. Da ist zum Beispiel das „Celler Loch“, da ist der belauschte Atommanager Klaus Traube, der bereits erwähnte Schriftsteller Günther Wallraff, da ist der Journalist Faust, dessen Existenz ruiniert wurde, um ihn daran zu hindern, über die Machenschaften des Verfassungsschutzes zu publizieren. Da sind auch erschreckende Informationen über die Sammelwut des Amtes eingestreut, wie die Aussage eines Mitarbeiters aus 105: „Ich würde sagen, zwischen 15 und 20 Prozent der Bevölkerung tauchen irgendwo auf.“

Jürgen Alberts hat für diesen politischen Kriminalroman drei Jahre lang recherchiert. Wobei es ihm auch gelang, Gespräche mit dem Agenten Hans-Joachim Tiedge zu führen. Tiedge hatte zwanzig Jahre lang im Bundesamt für Verfassungsschutz gearbeitet und sich 1985 in die DDR abgesetzt. Und Tiedge konnte Alberts Details liefern: über den Alkoholkonsum im Amt, über das Interieur, über die hausinternen Anekdoten, über die Unmöglichkeit des Datenlöschens. Alberts hatte ursprünglich vorgehabt, seinen Roman gemeinsam mit der Dissertation von Hans-Joachim Tiedge in einer Cassette zu publizieren. Thema von Tiedges Dissertation: Die Arbeitsweise des bundesdeutschen Verfassungsschutzes. Doch der Verfassungsschutz wäre nicht der Verfassungsschutz, wenn solch eine Dissertation straffrei in der Bundesrepublik veröffentlicht werden dürfte. Umso notwendiger ist ein Roman wie „Zielperson unbekannt“. Barbara Debus

Jürgen Alberts. „Zielperson unbekannt. Roman aus dem Verfassungsschutz“. Steidl Verlag. Göttingen, 1990, 29.80