„Alles nette Leute...“

■ Zum zehnten Mal: Medienkunstfestival in Osnabrück

Die Verrückten kommen wieder“, hieß es früher ironisch unter den Angestellten des Osnabrücker Kommunikationszentrums Lagerhalle, welches alljährlich als Hauptspielstätte des Europäischen Medienkunstfestival fungiert. Wenn schwarz gekleidete Existentialistentrupps und ausgemergelte Paradiesvögel die Straßen der kleinen südniedersächsichen Stadt durchstreifen, ahnt auch das gemeine Volk: die Medienkünstler sind in der Stadt.

In diesem Jahr konnten Verantwortliche wie Besucher das zehnjährige Bestehen dieser recht einmaligen Veranstaltung feiern. War die Premiere anno 1980 für die Bürger Osnabrücks womöglich noch Anlaß, die Wäsche von der Leine zu nehmen und die exotischen Besucher aus der sicheren Distanz zu betrachten, so eilten diesmal Oberbürgermeisterin und Kultusministerin herbei, das Ereignis gebührend zu feiern. Die Ansprache der Oberbürgermeisterin gipfelte dann auch in den Worten: „Das sind alles nette Leute hier“, und abgesehen davon, daß die Kultusministerin Schuchard in der Eile ihr Bier nicht bezahlte, unerkannt blieb und barsch zur Ordnung gerufen wurde, gab es keine unangenehmen Zwischenfälle.

Tobten vor zehn Jahren auch auf Leinwänden und Videobildschirmen Häuserkämpfe und Straßenschlachten, so waren heuer die eingereichten Arbeiten besinnlicher, retrospektiver, persönlicher und teils, insbesondere, wenn sie deutsch-deutsche Ereignisse zum Gegenstand hatten, unterschwellig resignativ. Ralf Sausmikat, Mitorganisator des Festivals, erkennt darin die Tendenz, „persönliche Inhalte oder persönliche Erfahrungen darzustellen, die aber für den Außenstehenden nicht ganz klar einzuordnen sind in gesellschaftliche Zusammenhänge und gesellschaftliche Probleme.“ Auch die Jury der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Filmjournalisten trug dem Rechnung, indem sie Michael Brynntrups HX — Narziss und Echo und Penelope Buitenhuis' Llaw auszeichnete.

Viele FilmemacherInnen favorisierten den privaten Blickwinkel; die meisten Ergebnisse zeigten aber immerhin ein künstlerisch recht hohes Niveau. So fehlten die in früheren Programmen häufiger auftauchenden Filme, in denen angehende Kunsthochschulstudenten ihre Eß-, Bade- oder Schlafgewohnheiten mittels abgelagerten oder zerkratzten Filmmaterials zu experimentellen Kunstwerken stilisierten. „Bitte ein Pflaster“, hieß es bei solchen Gelegenheiten unter Spöttern, „meine Sehgewohnheiten sind schon wieder aufgebrochen...“

Dem experimentellen Film, der Sehgewohnheiten verändern wollte (und will) verdankt das Festival seine Existenz. Begonnen hat es 1980 als „Experimentalfilmworkshop“. Azetat und Polyester waren die Materialien, aus denen „formal und ästhetisch innovierende Filme“ gemacht wurden, die zu präsentieren sich die Organisatoren zur Aufgabe gemacht hatten. „In erster Linie Experimentalfilme zu zeigen“, war laut Ralf Sausmikat die selbstgestellte Aufgabe der Veranstalter, damals allesamt noch Studenten des später von der CDU-Landesregierung abgeschafften Faches Medienwissenschaften. „Das heißt aber nicht, daß wir nicht auch frühzeitig die elektronischen Medien einbezogen hätten.“ Denen wandten sich im Laufe der Jahre immer mehr Künstler zu. Diesem Aspekt wurde 1988 mit der Namensänderung Tribut gezollt. Der „Workshop“ wandelte sich zum „European Media Art Festival“ mit einem Programm aus Video- und Filmvorführungen, Installationen, Performances, das ergänzt wurde durch Seminare, Diskussionen und Arbeitsgruppen.

Um die 4.000 Besucher nehmen inzwischen dieses Angebot war. Es könnten sogar mehr sein, wären die Veranstalter nicht durch Einsparungen gehandicapt. Wieder einmal glich die Haushaltsplanung einem finanzpolitischen Seiltanz. Weil die Niedersachsenstiftung bereits zugesagte Gelder einbehielt, enstanden unerwartete Finanzlöcher, die erst in beinahe letzter Minute mit einem von der neugewählten niedersächsischen Kultusministerin Helga Schuchard unbürokratisch gewährten Zuschuß gestopft werden konnten.

Circa neunzig Installationen und etwa sechzig Performances waren im Vorfeld zu begutachten, um die achthundert Arbeiten aus dem Bereich Video und Film zu sichten. Hundert Beiträge wurden angenommen und in den vier Festivaltagen präsentiert.

Das Spektrum reichte weit, von Paul Garrins wütender Videoattacke Home is where revolution is über Marc Adrians gelungene Verbindung von ethnographischem und dokumentarischem Material mit Spielszenen und Fundstücken (Pueblo) bis hin zu fröhlichen Beiträgen wie der in der Tradition harmloser Disney-Filme stehenden Computeranimation Locomotion oder Petr Vranas witzigem Clip Microwaved Hot Dog, beide die heimlichen Publikumsrenner des Festivals. Aus unerfindlichen Gründen tauchte wie heimlich abgesprochen in jedem dritten Film — und sei es ganz am Rande — ein Fisch auf, für die festivaleigene Astrologin ein Zeichen hoffnungsloser Rückständigkeit. „Das Zeitalter des Fisches ist vorbei“, bemerkte die „Spökenkiekerin“ mit wegwerfender Handbewegung und widmete sich ohne weitere Debatte ihrem mit Eierlikör übergossenen Bröckelkuchen.

Vermißt wurden, wie bereits im vergangenen Jahr, die abseitigen Spontanaktionen, die unwillkürlichen Entäußerungen, die in den früheren Jahren die „Medienmeile“ entlang der Osnabrücker Altstadt mitunter zum Abenteuerspielplatz werden ließen. Ralf Sausmikat nennt es das „Verbotene, Subversive und Untergründige“ auf und vor der Leinwand, das seiner Meinung nach dieses Festival von anderen unterscheidet. Was die Filme betrifft, so rechnet er — nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Situation in Deutschland — für das nächste Jahr mit Filmen, die wieder „eine Menge inhaltlichen Zündstoff“ bieten. „Ich denke schon, daß der Experimentalfilm eine Zukunft hat“, so der Osnabrücker Medienwissenschaftler. „Ob es 1991 noch die Fülle geben wird, wie wir sie seit 1981 hatten, möchte ich bezweifeln. Die Arbeit mit dem Medium Film hat auf jeden Fall noch seine Berechtigung, und es gibt auch genug Künstler, die damit weiterarbeiten werden.“ Von Harald Keller