Düstere Zukunft

■ Europas landwirtschaftlichen Randgebiete stehen vor dem Ruin EUROFACETTEN

Landwirtschaft ist für die Staaten am Rande der Europäischen Gemeinschaft von weitaus größerer Bedeutung als für die hochindustrialisierten Länder im Zentrum. Die Hoffnungen waren hochgesteckt, als während der siebziger Jahre ein Land nach dem anderen den fünf EG-Ursprungsländern beitrat. Schließlich bildete die gemeinsame Agrarpolitik das wirtschaftspolitische Kernstück der Gemeinschaft und versprach vor allem höhere Preise und somit höheres Einkommen für die zahlreichen Bauern in den neuen Mitgliedsstaaten. 20 Jahre später an der Schwelle zur weiteren wirtschaftlichen Vereinigung haben sich diese Hoffnungen nicht erfüllt.

Konsumenten in der EG bezahlen heute unvertretbar hohe Preise für Agrarprodukte. Die Subventionspreise vor allem für Fleisch- und Milchprodulte bewirken unweigerlich die bekannten Überproduktionen in der EG. Das wiederum hat verheerende Folgen für die Länder der Dritten Welt: Die überschüssigen Waren werden zu Schleuderpreisen auf dem Weltmarkt abgesetzt, wo die Produzenten unterentwickelter Länder damit nicht konkurrieren können. Paradoxerweise sind langfristig also die Billigpreise für Nahrungsmittel auf dem Weltmarkt einer der wesentlichen Faktoren, die die Abhängigkeit dieser Staaten von den entwickelten Ländern immer wieder reproduziert.

Aber selbst innerhalb der EG ist das Hauptziel, nämlich der landwirtschaftlichen Bevölkerung ein akzeptables Einkommen zu sichern, nicht erreicht worden. Durch die Anbindung von über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Zuschüsse an den Umsatz haben zwangsläufig die großen landwirtschaftlichen Betriebe den Löwenanteil der Zuschüsse kassiert. Folglich sind heute die Einkommensunterschiede zwischen Großbauern und Kleinbauern krasser als je zuvor.

Zugegeben: Durch die Agrarpolitik haben die Bauern am Rande der EG ihre Beschäftigung vorübergehend beibehalten können. Eine europäische Landwirtschaft, die vollkommen dem Markt überlassen worden wäre, hätte schon vor zwei Jahrzehnten Millionen ländliche Arbeitslose produziert. Diese Entwicklung ist jedoch bestenfalls verzögert worden: Da die gegenwärtigen Preisniveaus weder international — wie zur Zeit in der Uruguay-Runde (GATT) verhandelt — noch innerhalb der EG vertretbar sind, stehen jetzt tiefgreifende Veränderungen bevor.

Die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre waren voraussehbar. Durch die Einführung der Milchquoten im Jahr 1984 wurde für jede Molkerei und letztlich für jeden einzelnen Bauern eine maximale Produktionsmenge für Milch festgesetzt. Diese drastische Maßnahme erfolgte, weil überhöhte Absatzpreise für Milch und Milchprodukte unweigerlich zu Überproduktion führen mußten. Von Interesse ist aber vor allem die strukturelle Wirkung. Fortschritte bei der Züchtung und bei Futtermitteln steigerten regelmäßig die Produktion pro Kuh. Kann die Absatzmenge jedoch nicht vergrößert werden, muß entweder die Herde verkleinert, oder aber weniger intensive Futtermittel verwendet werden. Theoretisch sind beide Lösungen möglich, vom ökologischen Standpunkt gesehen sogar sinnvoll.

Das Problem besteht jedoch darin, daß — wie in Irland — der überwiegende Teil der Landwirtschaft aus kleinen und kleinsten Betrieben besteht, die bereits vorher nicht für die Vollbeschäftigung einer Person sorgen konnten. Daher ist die weniger intensive Milchproduktion keine Lösung. Die einzige Möglichkeit für diese Bauern besteht darin, ihre Milchquoten als Guthaben zu realisieren und von der Milchproduktion auf Viehzucht umzusteigen.

Nach der Milchproduktion war die Endzucht von Vieh und vor allem der Verkauf an den Schlachthof die profitabelste Möglichkeit. Es wechselten jedoch zuviele Bauern in diesen Bereich. Schon bald gab es EG-weit ein Überangebot an Fleisch, und wieder mußten die kleinsten der Bauern umsteigen — in die Aufzucht von Jungvieh. Dasselbe wiederholte sich ein letztes (?) Mal, als Hunderte von Bauern auf die vorübergehend lukrative Schafzucht umstellten.

Der gegenwärtige Einbruch der Preise für Lammfleisch ist deshalb für sie eine Katstrophe. Die Golfkrise tat ein Übriges und hat in Irland bereits zum Zusammenbruch der Firma Goodman, des größten Fleischexporteurs der Welt, beigetragen. Die gegenwärtigen Demonstrationen französischer Bauern gegen die Einfuhr von Lammfleisch aus Großbritannien und Irland sind mehr als das gewohnte Stöhnen der Bauern. Sie sind Ausdruck der Verzweiflung Tausender Bauern, für die es keinen Ausweg mehr gibt — außer die Landwirtschaft aufzugeben.

Ohne die Preiszuschüsse durch andere strukturelle Maßnahmen zu ersetzen, werden die Auswirkungen vor allem für die landwirtschaftlichen Randgebiete katastrophal sein. Am Ende wird sich die Produktion auf wenige große Betriebe konzentrieren. Die Rechnung zahlen die Kleinbauern, besonders in den peripheren Ländern der EG. Da die Arbeitslosenzahlen in den ländlichen Gebieten dieser Länder bereits deutlich über den Durchschnittswerten der betreffenden Staaten liegen, wird dies den Gegensatz zwischen reichen und armen Regionen in der EG noch weiter verschärfen. 20 Jahre EG haben sich im Kreis gedreht. Die Agrarpolitik ist an der Kraft unaufhaltbarer kapitalistischer Marktkräfte gescheitert. Trutz Haase

Der Autor ist Wirtschaftswissenschaftler am „Northern Ireland Economic Research Centre“, (NIERC), in Belfast.