Körper ohne Haupt?

■ Undurchschau- und -kalkulierbar: Die Mitsubishi- Struktur bleibt für die West-Konkurrenz ein Rätsel VOM ZAIBATSU ZUM KEIRETSU

Tokio (taz) — Wenn einmal im Monat die Chefs der 29 Mitsubishi- Unternehmen im sogenannten Kinyo-kai, dem „Freitagsclub“, zusammentreffen, dann verfügen ihre Entscheidungen über das umsatzstärkste Privatunternehmen in der Welt, die Mitsubishi-Gruppe, mit rund 420 Milliarden DM Umsatz pro Jahr und 240.000 Angestellten. Ausschließlich zu diesem Zeitpunkt, beim Treffen des Freitagsclubs, ist die Mitsubishi-Gruppe faßbar, kann ihre Existenz bewiesen werden.

Überall sonst, in jeder japanischen Unternehmensstatistik, rangieren die Mitsubishi-Unternehmen als unabhängige Betriebe, die unabhängige Bilanzen schreiben. So nämlich hatte es die US- amerikanische Besatzungsmacht verfügt, die nach dem Krieg die zaibatsu, die „Großkonzerne“, auflösten, jene riesigen japanischen Industrie- und Finanzkonglomerate, die Nippons Kriegswirtschaft erst ermöglichten, und zu denen Mitsubishi neben Mitsui und Sumitomo gehörte. Daraus entstanden die keiretsu, die „Gruppen“.

Damals unterstanden alle Einzelfirmen mit dem Namen Mitsubishi einer gemeinsamen Muttergesellschaft. Das Rätselraten um Mitsubishi setzt bei der Frage ein, inwieweit informelle Führungskreise wie der „Freitagsclub“ auch heute noch die Funktionen der alten Muttergesellschaft einnehmen.

Niemand weiß eine genaue Antwort — zumindest niemand außerhalb Japans. Deshalb fordert Washington die Tokioter Regierung seit Jahren auf, Großunternehmen wie Mitsubishi zu verpflichten, die Ergebnisse ihrer informellen Treffs zu veröffentlichen — eine Forderung freilich, die bisher in Japan auf gänzlich taube Ohren gestoßen ist. Während also eine Diskussion nicht stattfindet, kann die Mitsubishi-Gruppe unbehelligt weiterwachsen.

Sie verfügt über alle Hebel und Mittel der modernen Ökonomie. Mitsubishi Heavy Industries beherrscht den modernen Kraftwerksbau, das Gruppenunternehmen Nikon verfügt über die feinste Optik, Mitsubishi Bank gilt als solideste Bank des Landes, und so läßt sich die Liste beliebig weiterführen. 29 Firmenchefs treffen sich im Freitagsclub, weitere 50 zählen zur engeren Gruppe, mindestens 200 größere Unternehmen sind als Zulieferer vollständig von Mitsubishi abhängig, und bei dem Keiretsu selbst ist eine Broschüre mit dem Nachdruck eines in der Schweiz erschienenen Artikels erhältlich, der die Zahl der von Mitsubishi kontrollierten Firmen auf über 1.000 beziffert.

Der Zusammenhalt der Unternehmensgruppe wird zudem durch die Identifikation der Angestellten gewährleistet. Was immer die US- Besatzungsmacht mit Mitsubishi anstellte — die Betriebsangehörigen wußten stets, für welchen Namen sie arbeiten. Wer aber den Namen Mitsubishi auf seiner Visitenkarte trägt, ist sich in Japan seines sozialen Ansehens sicher, egal ob er nun als Laufbursche oder Chefmanager für die Firma arbeitet.

Es hat dennoch keinen Zweck, mit Mitsubishi-Verantwortlichen über die Koordination der Unternehmenspolitik einzelner Gruppenmitglieder zu sprechen. Sie leugnen grundsätzlich alle Absprachen. Auch diese allzu leichten Antworten haben den Argwohn im Westen aufrechterhalten. Die Mitsubishi-Gruppe bleibt eine undurchschaubare Größe mit unkalkulierbarer Macht. Georg Blume