64 Menschen in China hingerichtet

Massenexekution von „Rowdys und Kriminellen“/ Pekinger Regierung startet Kampagne gegen Kriminelle und zur „Stärkung von Recht und Ordnung“/ Geständnisse durch Folter erzwungen  ■ Aus Peking Boris Gregor

Die Justiz der südchinesischen Stadt Kanton hat am Anfang der Woche vierundsechzig Personen zum Tode verurteilt, die am Dienstag hingerichtet wurden, so die Kantoner Abendzeitung 'Yang Thing Wanbao‘ in ihrer Ausgabe vom 18. September, die gestern Peking erreichte.

Unter den Verurteilten befinden sich nach dem Bericht unter anderen ein Polizistenmörder, vorbestrafte Munitionsschmuggler, Diebe, Betrüger sowie ein sogenanntes „Dolchkommando“, das zwanzig Bürger überfiel, niederschlug und beraubte. Ob auch Regimekritiker abgeurteilt wurden, ist nicht festzustellen, da Dissidenten fast keine politischen, sondern kriminelle Straftaten zur Last gelegt werden.

Die Pekinger Regierung hat in den letzten Wochen zu einer Kampagne gegen Kriminelle und zur „Stärkung von Recht und Ordnung“ aufgerufen. Als Begründung nannten Verantwortliche die „finstere“ Situation der öffentlichen Sicherheit im Lande. Vor allem will die Kampagne Schwerkriminalität, Drogenhandel, Prostitution und Korruption unter Kadern ausrotten. Beamte, die zum Beispiel mehr als 30.000 Yuan (rund 10.000 Mark) veruntreuen, riskieren bereits ihr Leben.

Die Veröffentlichung des Kantoner Massenurteils gegen „Kriminelle und Rowdys“ erfolgte zeitlich nur kurz nach einem Protest der Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) gegen die Anhäufung von Exekutionen in der Volksrepublik China, so daß der Verdacht naheliegt, die chinesischen Behörden wollten auf drastische Weise auf die Beschwerde reagieren. ai hatte bis August dieses Jahres über 500 Todesurteile registriert.

Das Urteil wird in aller Regel im Morgengrauen kurz nach dem Urteilsspruch durch Genickschuß vollstreckt. Am Gerichtsgebäude wird der Vollzug durch ein Plakat bekanntgegeben, das mit einem großen roten Haken versehen ist. Zur Abschreckung veranstalten die Behörden mitunter öffentliche Exekutionen. Die Delinquenten werden dann auf offenen Lastwagen zum Hinrichtungsort gefahren. Um sich vor Racheakten durch Verwandte oder Komplizen zu schützen, tragen die bewaffneten Bewacher Sonnenbrillen und Schutzmasken. Die Verteidigung hat kaum Chancen, wirksam einzugreifen. Eine Berufung ist nicht in allen Fällen möglich, ein Revisionsverfahren in der chinesischen Rechtssprechung unbekannt. Alle Todesurteile werden allerdings vom Obersten Gerichtshof überprüft. Dies scheint in den meisten Fällen nur Formsache zu sein. Es ist nicht bekannt, wie viele Richtersprüche durch eine höhere Instanz annulliert wurden. Ein Recht auf Gnadenersuch oder Umwandlung des Urteils haben die Angeklagten nicht. Gutachten über den Geisteszustand der Angeklagten werden nur selten erstellt. Es gibt glaubhafte Berichte, daß Geständnisse durch Folter erzwungen wurden.

Vorwürfe, die Praxis verstoße gegen die Menschenrechte, weist Peking zurück: Die Menschenrechtssituation im sozialistischen China sei mit der in kapitalistischen Ländern nicht zu vergleichen. Im Kapitalismus würden Menschenrechte auch nur solange gelten, bis die herrschende Klasse nicht gefährdet sei. Im Sozialismus gehe die Staatssouveränität vor „grenzenloser Menschenrechtstheorie“, heißt es. Die KP bezeichnete erst jüngst Kritik an Menschenrechtsverletzungen in China als Einmischung in die inneren Angelegenheiten.