Kühles Wahlkampffieber in Dresden

„Die Arbeit liegt auf der Straße. Aber sie rechnet sich nicht nach kapitalistischen Grundsätzen“  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Wir sind auch noch da, wollte die Deutsche Soziale Union am Mittwoch den DresdnerInnen mitteilen. Doch weder der auf Schritt und Tritt angekündigte Auftritt des bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl, noch die von Polizeiorchester intonierten volksdümmlichen Weisen konnten mehr als ein paar hundert Menschen zur Wahlkundgebung auf den Theaterplatz locken. Bevor der erste Mann aus dem „glühendsten aller deutschen Länder“ zu Wort kam, stellte sich DSU-Vize Jürgen Schwarz als Spitzenkanditat für die sächsischen Landtagswahlen vor. Er trete für den Aufbau des Freistaates Sachsen, für die Enteignung der ehemaligen Blockparteien und die Rehabilitierung der Stasi-Opfer ein. Max Streibl kündigte Hilfe für Sachsen an. Die bayerische Wirtschaft stehe Gewehr bei Fuß und die Landesregierung helfe großzügig nach, um Investitionen im Osten anzuregen. Wachstumsraten von sieben bis 10 Prozent seien zu erwarten, wenn endlich alle sozialistischen Erblasten beseitigt wären. 79 Prozent der bundesdeutschen Unternehmen seien sofort bereit, im Osten zu investieren. Wirtschaftlicher Aufschwung, so Streibl, wäre schon längst über die ostdeutschen Länder gekommen, hätte die Volkskammer dem DSU-Antrag auf sofortigen Beitritt bereits am 17. Juni zugestimmt. Eine florierende Wirtschaft müßte her, um Steuern einzunehmen.

Die SPD dagegen setze auf Steuererhöhung bei den Großverdienern. Das träfe besonders die Klein- und Mittelunternehmen. Bei dieser und jeder anderen Gelegenheit bekamen die Sozis heftige Hiebe ab. „Wer mit Angst Wahlkampf betreibt, hat es bitter nötig“, sagte Streibl und bediente sich statt dessen einer altbewährten Politikermethode, jedem das beste zu versprechen. Nachdem die kleine Versammlung über Einheit, Deutschland und Freiheit jubeln konnte, wagte sich der erste Mann Bayerns sogar auf die wacklige Brücke eines Lenin-Zitats um ausrufen zu können: „Wer Deutschland hat, der hat Europa“.

Am selben Abend und ebenfalls vor historischer Kulisse hatte die SPD zur Kundgebung eingeladen. Rund 3.000 Menschen waren zwischen Landtagsgebäude und Kathedrale zusammengekommen, um Oskar Lafontaine und Anke Fuchs zu hören. Beide waren in den verganegen Tagen durch Sachsen gereist, um sich in Betrieben, Krankenhäusern, Arbeitsämtern umzusehen und mit Belegschaften und Betriebsrätren zu sprechen. Die SPD-Spitzenkandidatin für den sächsischen Landtag, Anke Fuchs, faßte zusammen: „Ich bin beeindruckt und betroffen davon, wieviel Zorn und Erbitterung, wieviel Angst und Unsicherheit vorhanden sind.“ Es sei an der Zeit, einen Neubeginn zu wagen, das gehe nicht mit den Machtkadern der alten Ära. Anke Fuchs stellte aber auch klar, daß nicht Hetzjagd angesagt sei, sondern gründliche Demokratisierung an den Hebeln der Macht. „Eine Demokratie wird daran gemessen, ob Frau und Mann die Chance haben, durch Arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen. Sie habe irrtümlich geglaubt, solche westdeutschen Unternehmen würden in der DDR helfen, die sich bei ihrer Gewinnsituation eine Durststrecke erlauben könnten. Die SPD werde sich für Infrastrukturprogramme einsetzen, die geeignet sind, Unternehmen nach Sachsen zu holen. „Die Arbeit liegt auf der Straße. Aber sie rechnet sich nicht nach kapitalistischen Grundsätzen. Also brauchen wir staatliche Beschäftigungsgesellschaften.“