Kann sich Bonn hinter Brüssel verstecken?

■ Delegation der EG-Kommission zu Besuch in Berlin/ In Brüssel wird demnächst über die Zukunft der Berlinförderung entschieden/ EG verspricht Ersatzlösungen für die Umsatzsteuerpräferenz/ 400 Millionen DM aus EG-Topf für Ost-Berlin

Berlin/Brüssel. Zwischen Brüssel und Berlin herrscht in dieser Woche ein reges Kommen und Gehen: Nachdem Staatssekretär Jürgen Dittberner (FDP) von der Westberliner Senatswirtschaftsverwaltung am Dienstag Brüssel besucht hatte, ist seit gestern eine hochrangig besetzte Delegation der EG-Kommission zu einer zweitägigen Visite in Berlin, darunter auch der stellvertretende Generalsekretär der obersten EG- Behörde, der Niederländer Carlo Trojan. Bis Samstag werden sich die EG-Offiziellen über die Situation in der bald vereinten Stadt informieren. Für Berlin geht es um viel, viel Geld: Demnächst wird in Brüssel darüber entschieden, ob die Bonner Subventionen für Berlin in einem vereinten Deutschland noch Bestand haben dürfen oder ob sie mit den EG-Verträgen nicht mehr vereinbar sind.

»Sympathiewerbung für Berlin« sei das Ziel des Besuchsprogramms für die Brüsseler Delegation, erläutert Eckhard Jaedtke, der die Berliner Außenstelle der EG-Kommission leitet. Die Senatswirtschaftsverwaltung und die Westberliner Industrie- und Handelskammer hatten die Einladung gemeinsam initiiert. Staatssekretär Dittberner ist seit seiner Stippvisite in Brüssel optimistisch. Dem EG-Sekretär Trojan habe Berlin seit jeher »viel zu verdanken«. Bei der Sicherung der Berlinhilfen, so Dittberner zur taz, gehe es jetzt nur noch um »Formalien«.

Oft wird vergessen, daß die Zukunft der Berlinförderung nicht nur von Haushaltspolitikern abhängig ist, sondern auch von Brüssel. Auch in den EG-Institutionen gibt es Stimmen, die meinen, daß diese Subventionen dank der Wiedervereinigung kein Existenzrecht mehr hätten. Die Berliner Europaabgeordnete Roth- Behrendt (SPD) fürchtet, daß sich die Bonner nun hinter Brüssel verstecken könnten, wenn sie an den Berlinvergünstigungen sägen wollten. Prinzipielle Gegner jeder Form von Regionalförderung gibt es beispielsweise in der konservativen Fraktion im europäischen Parlament. Die europäischen Sozialisten hätten hingegen »keine Probleme«, die Berlinsubventionen zu verteidigen, sagte der schottische Labour- Abgeordnete Alan Donnelly zur taz. Es könne schließlich nicht sein Ziel sein, zu Fabrikschließungen beizutragen, egal ob in seiner schottischen Heimat oder in West-Berlin. Donnellys Stimme könnte Gewicht haben: Im Europaparlament ist er der fraktionsübergreifende Berichterstatter für den Ad-hoc-Ausschuß über die Auswirkungen der deutschen Einheit.

Den EG-Beamten ist besonders die Umsatzsteuerpräferenz ein Dorn im Auge, die Bonn für Berliner Erzeugnisse und Dienstleistungen gewährt, die in die Bundesrepublik verkauft werden. Den Umfang dieser indirekten Subvention wird mit etwa drei Milliarden Mark pro Jahr beziffert. Theoretisch könnte die EG- Kommission die Gewährung der Umsatzsteuerpräferenz unmittelbar nach dem 3. Oktober untersagen. Staatssekretär Dittberner hofft jedoch nach seinem Brüssel-Besuch auf das Wort von Trojan, man werde nach »Ersatzlösungen« suchen.

Schon seit Jahren wird West-Berlin direkt mit Brüsseler Mitteln versorgt. Insgesamt 80 Millionen Mark fließen von 1989 bis 1991 aus dem EG-Strukturfonds in die Stadt. Damit will der Senat unter anderem die Wiederherstellung der U-Bahn-Verbindung zwischen Otto-Grotewohl- Straße und Wittenbergplatz bezuschussen. Noch reicher werden die Fördermittel wahrscheinlich ab 1991 ausgeschüttet, allerdings für den ohnehin defizitären Ostteil Berlins. Von dem EG-Sonderfonds für die DDR, der je zur Hälfte von Bonn und Brüssel bestückt wird, werden drei Jahre lang jährlich etwa 400 Millionen Mark für Berlin abfallen, hofft man im Senat.

Wenig Hoffnung wird die Brüsseler Delegation den Berlinern machen können, wenn es um die Ansiedlung europäischer Institutionen geht. Die Europäische Umweltagentur beispielsweise, über deren Standort noch im Herbst entschieden werden soll, wird eher nach Kopenhagen wandern als zum Mitbewerber Berlin: die europäischen Nachbarn haben wenig Neigung, solche Institutionen ausgerechnet dem wiedervereinigten Deutschland zugute kommen zu lassen. hmt