ZEITSCHRIFTEN gelesen von Uwe Birnstein

UweBirnstein

'Spiegel‘, 'Stern‘, 'Zeit‘ — kurz vor Weihnachten letzten Jahres warteten sie alle mit Schreckensbildern und -berichten aus Temeswar auf. Auf dem Armenfriedhof der rumänischen Stadt wurden ihnen neunzehn teilweise grausam verstümmelte Leichnahme gezeigt. Nicht nur Zeitschriftenreporter, auch die Fotografen und Fernsehteams verbreiteten als Erklärung, die Leichen seien Opfer des berüchtigten rumänischen Geheimdienstes Securitate. Das Fernsehen strahlte die Schreckensbilder zur Abendbrotszeit aus und verband sie mit der Foltertheorie, die so gut in das damalige Bild Rumäniens paßte.

Alle JournalistInnen, daran besteht heute kein Zweifel mehr, wurden getäuscht. Denn die Leichen waren mit Sicherheit keine Opfer der Securitate, sondern gerichtsmedizinisch obduzierte und dann regulär bestattete Tote. Der vielgezeigte Frauenleichnam mit dem gekrümmten „Fötus“ auf dem Bauch war keinesfalls Folteropfer, sondern eine an Alkoholvergiftung verstorbene Frau, der man einen Monat später ihr verstorbenes zweieinhalbjähriges Mädchen ins Grab legte. Und jener Tote, dessen Drahtschlinge um den Fuß Anlaß zu Vermutungen über Folterpraktiken gegeben hatte (die 'Zeit‘ entdeckte an ihm die Wundmale Christi), entpuppte sich als ein Mann, der in einen Heizungsschacht gefallen war.

Typische Autopsiespuren wurden allenthalben zu Foltermalen erklärt, und normale Verwesungsvorgänge fanden in der spanischen Zeitung 'El Pais‘ ihre Erklärung darin, daß die Securitate die Leichen durch Säure habe unkenntlich machen wollen.

Wie es zu dieser bedeutendsten Fälschung seit der Erfindung des Fernsehens kam, versucht Burkhard Müller-Ullrich im neuesten MediumMagazin (Heft 3/90) zu ergründen. Seine Analyse fällt niederschmetternd aus, beschreibt sie doch die völlig verselbständigten Mediengesetze, denen sich ein Reporter anzupassen hat. „Keiner darf heimkommen und sagen, es war nichts!“, sei die Einstellung fast aller Redaktionen. Nicht gewissenhafte Recherche zählt, sondern spektakuläre Medienereignisse sind gefragt. Nicht die fast 1.000 Menschen, die in den rumänischen Unruhen ihr Leben lassen mußten, sind berichtenswert, sondern neunzehn Tote, mit denen sich sämtliche Klischees leicht bestätigen lassen.

'MediumMagazin‘ bringt außerdem Auszüge aus dem bisher geheimen Redaktionskonzept der zweiten überregionalen Tageszeitung aus Berlin: Die Wiederauferstehung des 'Berliner Tageblatts‘ ist zumindest auf dem Papier schon geprobt. 186 „erstklassige und deshalb unabhängige Journalisten mit weitem Horizont“ sollen das Blatt zur ernstzunehmenden Alternative zur einzigen Alternativ-Zeitung machen, die die LeserIn gerade in der Hand hält.

„Von der Demokratie sprechen und gleichzeitig das Volk zum Schweigen bringen, ist eine Farce!“ Diese Erkenntnis des brasilianischen Befreiungspädagogen Paolo Freire setzt die Journalistin Graciela Salsamendi in Uruguay in die Tat um: Ihr Ziel: Das Massenmedium Radio nicht den Mächtigen zu überlassen, sondern es zum Sprachrohr für die Armen zu machen.

„Communicación popular“ nennt sie ihr Projekt. Einmal pro Woche strahlt seit 1988 ein privater Rundfunksender in Montevideo ihre Sendung „Testimonios“ (Zeugnisse) aus. „In der Sendung will ich Menschen, die sonst kaum Zugang und Rederecht in den Medien haben, das Wort erteilen“, so Salsamendi; „sie erzählen von ihrer Situation, ihrem Leben, ihren Problemen.“

Die in der Bundesrepublik und Nicaragua ausgebildete Journalistin fährt in die Slums von Uruguay, berichtet über Kinderspeisungen, Hausbesetzungen und die besonders schwierige Lage der Frauen.

Von Anfang an wußte Graciela Salsamendi, daß es nicht ausreicht, einmal hinzugehen und ein Interview zu machen. „Damit sich die Menschen in der Sendung so zeigen können, wie sie sind, ist Vertrauen nötig. Dieses Vertrauen muß erst langsam wachsen und sich festigen. Dazu gehört, nach den Interviews und nach der Sendung wieder in das Viertel zurückzugehen. Dann spiele ich ihnen die Sendung noch einmal vor, berichte von den Anrufen und anderen Reaktionen, zum Beispiel, wenn Menschen mit ähnlichen Problemen ihre Hilfe anbieten“, erzählt Salsamendi.

Daß der Bericht über dieses Projekt in der Zeitschrift weltmission erscheint, hat zwei Gründe. Zum einen wird Gabriela Salsamendi vom fortschrittlich gesonnenen Evangelischen Missionswerk (Hamburg) finanziell unterstützt. Und: Ihr Radio Popular ist eindrückliche Alternative zur kulturimperialistischen Missionsstrategie rechtskonservativer Evangelikaler, die gerade in Lateinamerika ihr Medienengagement verstärken.

Immer noch die profilierteste medientheoretische Zeitschrift hierzulande ist medium. Das aktuelle Heft (3/90) bringt Beiträge zu den Themenschwerpunkten „Nachwirkungen des Nationalsozialismus“, „Medien in Asien“, „Umweltjournalismus“ und „Fernsehen und Wahlen“.

Im letztgenannten Bereich sticht besonders der Artikel von Horst Pöttker hervor, der unter dem Titel „Permanente Imagepflege“ die Frage stellt: „Was suchen die Politiker im Fernsehen — und was bewirken sie damit?“

Was PolitikerInnen im Fernsehen suchen, scheint klar: Symphatie bei potentiellen WählerInnen. Sie möchten also nicht die Medien nutzen zur Bekanntmachung ihrer Parteiprogramme und -ziele. Warum? „Weil eigentlich keine Partei wünschen kann, daß ihr Programm allzu weit und allzu genau bekannt wird, denn dann könnte das, was sie tut, wenn sie an der Regierung ist, ja womöglich an dem gemessen werden, was sie verkündet hat, als sie noch in der Opposition war“, so Pöttkers einleuchtende Begründung. Nein, das Gros der WählerInnen macht sein Kreuzchen nicht bei Programmen, sondern bei Personen.

Peter Glotz, erfahrener Medienmann und SPD-Wahlkämpfer, empfiehlt daher das einzig richtige: „Wer Bürgermeister oder Ministerpräsident werden will, [...] muß lächeln, auch wenn ihm nicht dazu zumute ist. Er muß freundlich interessiert schauen, auch wenn er eigentlich explodieren will. Er muß sich bei „Mainz, wie es singt und lacht“ einen albernen Hut aufsetzen lassen, und manchmal muß er auch bei Rudi Carrell in Quizsendungen Fahrrad fahren.“ Pöttker faßt zusammen: „Der Durchschnittspolitiker möchte im Fernsehen gleichzeitig kompetent wie ein Wissenschaftler, attraktiv wie ein Filmstar, verantwortungsbewußt wie ein Bischof und pfiffig wie der Mann auf der Straße sein.“

Genau das geht in die Hose. Denn indem sie das Fernsehen als Image- Aufpolierungsmaschine mißverstehen, bewirken die PolitikerInnen das Gegenteil von dem, was sie eigentlich bezwecken. Die mit der Medialisierung der Gesellschaft wachsendePolitikverdrossenheit läßt sich nicht nur an der stetig sinkenden Wahlbeteiligung ablesen. „Mehr noch: seit es das Fernsehen gibt, hat das Ansehen der Politiker ziemlich kontinuierlich abgenommen.“ Der Schuß ging also nach hinten los, vermutet Pöttker: „Es ist zu befürchten, daß die telegene Selbstpräsentation der Politik Entscheidendes zu ihrem schlechten Bild in der Öffentlichkeit beiträgt, daß also Politikverdrossenheit und Vertrauenskrise nicht trotz, sondern paradoxerweise auch wegen der ständigen medialen Image-Pflege um sich greifen.“

Ein Grund hierfür ist, daß das allgegenwärtige Medium Fernsehen PolitikerInnen zu Aussagen verlockt, die sie sonst nie machen würden. Bestes Beispiel: Uwe Barschels Fernseh-Lügen-Ehrenwort. Zweitbestes Beispiel: Norbert Blüms Lüge in einer Unterhaltungssendung, er trage ein Kassen-Brillengestell. „Indem das Fernsehen Politiker zu Angebern macht, die vor der Kamera den Mund zu voll nehmen, fördert es ihnen gegenüber eine Einstellung, als seien sie auch bei ihren politischen Entscheidungen verantwortungslose Angeber.“

Als Fazit rät Pöttker den PolitikerInnen, „sich einfach weniger um das Medium zu kümmern“. Dabei gesteht der Autor, daß er optimistischerweise davon ausgeht, daß sie sich tatsächlich dafür interessierten, der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken. Als mögliche weitere Entwicklung, gerade des privaten Rundfunks, sieht Pöttker jedoch die Gefahr, daß genau das Gegenteil eintritt, „weil die Politik sich in den von der Unterhaltung noch mehr bestimmten Kommerzprogrammen noch mehr als Show-Geschäft präsentiert und dadurch noch belangloser erscheint als bisher schon.“

Ebenfalls hellt 'medium‘ (3/90) die Vergangenheit Herbert Reineckers auf, des Autors Hunderter „Komissar“- und „Derrick“-Folgen. „Er ist ein Meister der Befriedigung infantiler Harmoniesehnsüchte...“, schreibt Rolf Seubert in seinem Beitrag „eine zentrale Figur des Sinnstiftungsvereins ZDF [...], der die Gefühlslagen der Bundesbürger wie kaum ein anderer repräsentiert und reproduziert.“

Umso erschreckender, daß Reinecker im Dritten Reich führender Propagandist der Hitler-Jugend im Auftrag des Reichspropaganda-Ministeriums war. Seubert analysiert Reineckers Biographie, „in der Verehrung und Faszination von Hitler“ zu spüren sei, jedoch „keinerlei Distanz zur menschenverachtenden Ideologie des Nationalsozialismus“. Hingegen beteuere Reinecker, weder von der Reichskristallnacht, noch von den Kriegsverbrechen an der Ostfront, zu der er als Kriegsberichterstatter der Waffen-SS geschickt war, gewußt zu haben.

Besten Gewissens habe er deswegen immer wieder Jugendliche zum Führergehorsam manipuliert. „Es war doch nicht schlecht, was wir wollten. Wie kann es schlecht sein, eine Jugend zu Idealen zu erziehen?“, fragt Reinecker lammfromm in seiner Biographie. Reineckers Vergangenheitsbewältigung scheint sich in der Entfernung der SS-Tätowierung am Unterarm zu erschöpfen.

Fortan stellte er seine propagandistischen Fähigkeiten in den Dienst „demokratischer“ Medien. In einer Hinsicht, so Seuberts Resümee, bleibt damit Kontinuität gewahrt: Damals wie heute repräsentieren Reineckers Produktionen den deutschen Zeitgeist.

Daß die laufenden Bilder das gedruckte Wort schlucken werden, meinen vor allem nordamerikanischen Kulturkritiker. Anachronistisch mutet es da an, daß die hiesigen Öffentlich-Rechtlichen mehr und mehr auf dem Printwege ihr Erste- Reihe-Image aufzupolieren versuchen.

Das Erste — Die Zeitschrift über Fernsehen und Radio betitelt die ARD ihre gedruckte Tochter. Die Leser erwartet weder eine werbewirksame Programmvorschau, noch übermäßige Selbstbeweihräucherung. Vielmehr präsentiert das Blatt eine bunte Mischung von Themen, die im weitesten Sinne mit Rundfunk zu tun haben. Teenie-Macho David Hasselhoff und Christiane F. (die vom Bahnhof Zoo), Rudi Carrells TV-philosophische Ergüsse und das volksmusikalische Wunschkonzert — alles und alle haben Platz im 'Ersten‘. Zur Präsentation der Themen hat die Zeitschrift Profis aufgetan, die sich bereitwillig in das Koordinatenkreuz öffentlich-rechtlicher Ausgewogenheit einordnen lassen: Das aufrechte Nordlicht Björn Engholm wird neutralisiert durch Bayern-Reporter Heinz Klaus Mertes; die taz bekannte wortgewandte Renée Zucker und Pop-Papst Barry Graves steuern den nötigen Schuß Zeitgeist bei — umrühren — fertig. Dennoch: Wer unterhaltsam über die TV- und Medienbranche informiert werden will, dem und der sei 'Das Erste‘ anempfohlen.

Protest gegen den Ausflug aus dem Antennen- in den Blätterwald meldet der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) an. Angesichts der jährlichen vier Millionen Mark fürs 'Erste‘ wirft er den ARD- Anstalten „Zweckentfremdung von Gebühren“ vor. Die Ängste der Verleger-Lobby sind nachvollziehbar: Sie fürchten eine durch Rundfunkgebühren gesponserte Rundfunkzeitschrift als Konkurrenz ihrer schnöden Programmblätter à la 'FunkUhr‘, 'HörZu‘ und Co.

Noch schlichter als die ARD hat die Konkurrenz ihr Blättchen betitelt: ZDF. Schlichter allerdings ist auch der Inhalt. Er will all jene Film- und Fernsehfreaks entzücken, die an Hintergründen zu Filmemachern und ihren Werken interessiert sind. Wohltuend sachlich und ausgiebig widmet sich 'ZDF‘ monatlich den bevorstehenden Fernsehabenteuern. Wer also schon immer wissen wollte, weshalb Woody Allen so genial, Jean-Luc Godard so enfantterriblistisch und Fanny Ardant so streng ist — der wird's in 'ZDF‘ finden.

Das Erste. Die Zeitschrift über Fernsehen und Radio, Mittelweg 180, 2000 Hamburg 13

ZDF, Postfach 4040, 6500 Mainz 1 (beide Zeitschriften werden kostenlos zugesandt)

Die neueste Ausgabe von medien praktisch (3/90) widmet sich schwerpunktmäßig der Frage, ob Bildung durch Fernsehen vermittelbar ist. Stefan Aufenanger analysiert dazu die ZDF-Kindernachrichtensendung „logo“, Wolfgang Wunden stellt das Berufsbild „MedienpädagogIn“ vor, und Wolfgang Schill erarbeitet ein Unterrichtsmodell zum Thema „Fernseh-Helden“.

medien praktisch, Postfach 170361, 6000 Frankfurt/Main 17 (Einzelheft 10 DM; Jahresabo 34 DM, ermäßigt 23,80 DM)

Der Medienreport, eine der letzten Mediensendungen bundesdeutscher Hörfunkanstalten, wird nach 17 Jahren zum 30. Septemer eingestellt. Viele der Sendemanuskripte dieser Sendereihe des Norddeutschen Rundfunks sind noch erhältlich, unter anderem die Bände 10 („Computer im Alltag“) und 11 („Medienindustrie und Medienmärkte“) beim

NDR, Redaktion Medien und Kommunikation, Rothenbaumchaussee 132-134, 2000 Hamburg 13.

medium, Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse, Westerbachstr. 33-35, 6000 Frankfurt/Main 90 (erscheint vierteljährlich, Jahresabo 38 DM, ermäßigt 26,60 DM, Einzelheft 12 DM)

MediumMagazin. Unabhängige Vierteljahreszeitschrift für Journalisten, Michaelstr.1, 5300 Bonn 1 (Jahresabo 30 DM, inkl. vier „MedienMagazin-Newsletter“, Einzelheft 6,50 DM)

weltmission, Mittelweg 143, 2000 Hamburg 13 (Erscheint zweimonatlich, Jahresabo 18 DM, Einzelheft 3 DM)