KolericMarizziVranitzky und die Pollacks

Obwohl die Vorfahren der meisten österreichischen Politiker selbst aus dem Osten stammen, bauen sie an einem mächtigen Damm gegen Einwanderer  ■ Aus Wien Hazel Rosenstrauch

Jeder weiß es, jeder macht Witze darüber. Die für Toleranz zuständigen Regierungsstellen haben eine anspielungsreiche Werbekampagne darauf gebaut: ein Großteil der Österreicher stammt aus Familien, die seinerzeit als Wirtschaftsflüchtlinge ins Land kamen. Ob Hawlicek (Unterrichtsministerium) oder Cap und Marizzi (Zentralsekretäre SPÖ), Vranitzky oder Waldheim — dessen Vater noch Vaclavek hieß — sie sind aus der Tschechoslowakei, Ungarn, Italien, aus Polen, dem Balkan oder sonstwo eingewandert. Allerdings zu einer Zeit, als Ausländer noch eingebürgert und damit zu Inländern wurden. Nicht nur zu Zeiten der klassischen Ost-West-Migration im Gefolge der Industrialisierung, auch als es längst keinen gemeinsamen Kaiser mehr gab, war Österreich nicht nur das Ziel der Immigrantenströme, sondern auch Auswanderungsland. Ganze Dorfschaften zogen nach Amerika oder ins Deutsche Reich. Und da man und frau in Österreich — gemessen an der BRD, Nord-, Mittel- und Südamerika — (natürlich nur in bestimmten Berufen) auch heutzutage relativ schlecht verdient, das Lohnniveau und die Arbeitsbedingungen im Ausland oft attraktiver sind, stehen den rund 350.000 „offiziellen“ Ausländern ungefähr 400.000 Österreicher gegenüber, die als Gastarbeiter anderswo — besonders in der BRD und in der Schweiz — ihr Geld verdienen. ganz abgesehen von den Monteuren in der arabischen Wüste sind noch keineswegs die Arbeitsplätze einbezogen, die Auftraggebern im ganz nahen Nahen und Fernen Osten zu verdanken sind. Diese Art der Rechnung steht noch für alle Länder aus, die jetzt eine Mauer um ihren Wohlstand herum ziehen, aber wegen der gemeinsamen Bemühungen der EG um ein gesäubertes Westeuropa geht es im neutralen Österreich auch darum, ob die Alpenrepublik noch innerhalb oder außerhalb der Absperrung gegen die Flüchlinge zu liegen kommt.

Der Witz mit der neuen Mauer wird ernst

Mit neuen Gesetzen und Erlassen sucht die österreichische Regierung den Anschluß an die Gemeinschaft der Reichen durch restriktive Politik gegenüber Ausländern, geplagt von der Furcht, die alten Verwandtschaftsbeziehungen könnten dazu führen, daß die aus Westeuropa Ausgesperrten sich sämtlich zwischen Vorarlberg und Burgenland niederlassen. Die „gemeinsame Geschichte“ macht die Definition des Österreichers etwas schwieriger, als die Bestimmung eines Deutschtums, das zur Not durch die Mitgliedschaft in der SS nachgewiesen werden kann. Trotz der gelungenen Integration von Hunderttausenden, die 1956/57 aus Ungarn, 1968/69 aus der CSSR, 1981/82 aus Polen kamen, fällt — hier gibt es in zwei Wochen Wahlen, zu deren Themen das „volle Boot“ gehören wird — die Propaganda gegen „die Fremden“ auf traditionsreichen, fruchtbaren Boden; die Rumänen stehen vor der Tür und die Dunkelhäutigen könnten — wie es der Landeshauptmann von Oberösterreich, Herr Ratzenvöck, so deutlich ausdrückte — den für die österreichische Wirtschaft so wichtigen Fremdenverkehr stören.

Dagegen sind die nicht unfreiwilligen Witze über eine neue Mauer, die nun vom Westen her errichtet wird, ernst geworden. Erstens gibt es seit dem 7. September für Polen einen Visumzwang. Zweitens sind Soldaten des Bundesheeres — in Österreich gibt es keinen Bundesgrenzschutz — an die österreichisch- ungarische Grenze verlegt worden. Am Tag vor Einführung der Visumpflicht kamen noch einmal 30.000 Polen. Seitdem ist die Einreise stark zurückgegangen und, wie beabsichtigt, der Scharzmarkt in Wien schon beträchtlich geschrumpft. Nach Bulgaren und Türken wurden inzwischen auch die Rumänen der Visumpflicht unterworfen. Immerhin dürfen anerkannte Asylwerber, wie das hier heißt, während des Anerkennungsverfahrens arbeiten.

Herr und Frau Österreicher wissen längst die angenehmen Seiten der benachbarten Billigländer und zureisenden Underdogs zu schätzen. Nicht nur hat fast jeder seinen Polen für Maler- oder Tischlerarbeiten schnell zur Hand, man fährt ins nahe Sopron zur Zahnbehandlung. Als die tschechische Grenze geöffnet wurde, war die Einkaufsgier der Österreicher so überwältigend, daß die lieben Nachbarn in den tschechischen Grenzorten gebeten wurden, nicht alles leerzukaufen, weil die Bevölkerung sonst nichts mehr zu essen habe (die Appelle hatten keinen großen Erfolg).

Nicht nur Gastarbeiter, auch die Wiener Unterschicht deckt sich am Mexikoplatz ein. Die arabischen Zeitungsverkäufer gehören seit mehr als zwanzig Jahren zum Stadtbild. Eine ungarische Balletteuse bietet einen Workshop für junge Mädchen, die so für zwei Wochen billig aus dem Haus sind; gegen Festivals in Mähren, Joint-ventures, noch mehr Im- und Exporte hat niemand was. Während die liberale Mittelschicht sich nun wieder billiges Hauspersonal leisten kann, ist die Unterschicht nicht ohne Grund gegen den lohndrückenden Nachschub.

Der Polenmarkt, der zuletzt schon auf ein Areal weit draußen an der Doanu verlegt worden war, ist jetzt verwaist. Allerdings wurde auch für die tolerantesten Befürworter allgemeiner Menschenrechte unabhängig von Rasse, Religion und Herkunft die Grenzöffnungen in den letzten Monaten der Schwarzmarkt zum Problem, sofern sie in der Nähe des Mexikoplatzes oder Pratersterns wohnen und im Getümmel nur durch Pulks von Unterwäsche- und Zigaretten anbietende HändlerInnen zu ihren Wohnungen durchdringen konnten. Zumal es, weil es ja ein Schwarzmarkt war und die Stadtverwaltung nicht ungern die Untragbarkeit der Situation vor Augen und Nasen führt, keine öffentlichen Toiletten und zu wenig Müllabfuhren gab.

Der Stefanplatz, der Mexikoplatz und die Mariahilferstraße sind ebenso begehrte Ziele des überquellenden Touristenstroms. Schließlich drängeln sich in Wien nicht nur östliche Händler und Schwarzarbeiter, Siena und Florenz sind inzwischen so voll, daß unter Italienern, Deutschen, Japanern und Amerikanern, die gern alte Palazzi bewundern, eine Nordwanderung eingesetzt hat. In hübscher Arbeitsteilung erzürnt sich aber die Volksseele über Ungarn, Rumänen, Polen, Tschechen und Slowaken, während lediglich versnobte Intellektuelle lieber die reichen Touristen loswerden würden, weil ihretwegen die Stadt zum Disneyland verschandelt werde.

Der Arbeitsstrich zum Wohle des Unternehmertums

Minimieren wird sich nach dem Visumzwang für Polen auch das Problem des Arbeitsstrichs, der in aller Öffentlichkeit vor Arbeitsämtern und Flüchtlingslagern zum Wohle des freien Unternehmertums blüht. Denn hier erhält nicht der Ausländer eine Arbeitsgenehmigung (oder eben nicht), sondern die Betriebe bekommen eine sogenannte „Beschäftiungsbewilligung“ — und der Inhaber einer solchen Bewilligung ist der Arbeitgeber. Dadurch ist die Abhängigkeit vom Arbeitgeber im Mustersozialstaat Österreich besonders hoch. Bis zu diesem Sommer gab es erst nach acht Jahren einen sogenannten Befreiungsschein, der es Ausländern ermöglichte, sich etwas freier auf dem österreichischen Arbeitsmarkt anzubieten. Das immerhin wurde in dem eben verabschiedeten neuen Ausländerbeschäftigungsgesetz verbessert, laut dem nun nach einem Jahr innerhalb einer Branche und eines Bundeslands der Arbeitsplatz gewechselt werden darf (ob dann wohl eine Putzfrau vom Holzbetrieb zur Gaststätte wechseln darf?). Die Änderung — also erleichterter Erwerb einer Bewilligung, die für den Arbeitenden und nicht nur für den Betrieb gilt — könnte für die Ausländer ein Vorteil der Anpassung an die EG werden. Noch weiß man nicht, wie hoch die Latte zum Gewinnspiel um eine veritable Arbeitserlaunis gelegt wird. Das der Quartiernachweis nötig bleibt, ist sicher, er bleibt damit auch eine Garantie dafür, daß Substandardwohnungen zu horrenen Preisen an Ausländer vermietet werden und das relativ soziale österreichische Mietrecht durch Kurz- und Untermietverträge unterlaufen wird.

Da stehen sie, die jungen Männer und manchmal auch Frauen, für die diese Art der Arbeitssuche besonders risikoreich ist, und warten, bis ein Wagen hält; man beugt sich hinein, verhandelt über den Preis (er liegt, je nach Tätigkeit, bei sieben bis zehn Mark, also, rechnet man die ausfalenden Sozialkosten hinzu, bei etwa einem Viertel der normalen Kosten für angemeldete Arbeiter) und ab geht's zur eintägigen oder einwöchigen Arbeitsstelle. In der Presse werden besonders gern die Schocker berichtet — Jugoslawen und Polen, die ihre Landsleute ausnehmen. Da ließ sich zum Beispiel ein angeblicher Arbeitsbeschaffer als Pfand für die Schaufeln ein paar Hunderter zahlen, stellte die angeheuerten Männer bei einer Wiese ab, dort sollten sie eine Grube ausheben. Er ward nicht mehr gesehen und das eingesetzte Geld natürlich auch nicht. Inzwischen kommen nicht mehr, wie noch zu Anfang dieses neuen Sklavenhandels, direkte Abgesandte einheimischer Betriebe, vielleicht, weil sich das Risiko auch für die Unternehmer erhöht hat. Die Männer, die vor dem Arbeitsamt in Ottakring oder vor dem Flüchtlingslager Traiskirchen wie Freier anfahren, sind meist Keiler, beim Wiederverkaufspreis eines solcherart erworbenen Arbeitnehmers dürften einige Schillinge für diesen Mittler abgezogen werden. Die Strafen für steuer- und versicherungshinterziehende Unternehmer sind immer noch so gering, daß das Risiko lohnt. Den Areitsstrich in der Brühnerstraße gibt es nicht mehr, er wurde von der Polizei „zerstreut“.

Die wenigsten Besitzer eines deutschen — neuen oder alten — Passes werden den Unterschied zwischen Aufenthaltsgenehmigung, Aufenthaltsberechtigung und Aufenthaltsbewilligung kennen. Ebenso wenig kann außer dem kleinen Häuflein Kämpfer für ein ausländerfreundliches Österreich ein Einheimischer hier die Regeln von Paßgesetz, Asylgesetz, Fremdenpolizeigesetz und Ausländerbeschäftigungsgesetz verstehen, gar wissen, was ein Befreiungsschein, eine Sicherungsbescheinigung oder Beschäftigungsbewilligung bedeutet. Ausländer, so könnte eine Definition lauten, sind Menschen, die dieser Fachkenntnisse bei Strafe ihres Untergangs erwerben müssen. Die Tendenz ist klar — Österreich möchte zu jenem Teil Europas gehören, der die Spielregeln der Futterverteilung bestimmt. Und so heißt es auch in dem vor der Somerpause verabschiedeten Ausländerbeschäftigungsgesetz im Absatz „Vereinbarkeit mit EG-Recht“: Die Vereinbarkeit [...] mit dem EG- Recht ist insofern gegeben, als [...] für den Fall des Beitritts zur EG [...] EG-Bürger vom Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ausgenommen [sind].“

Wie sehr Österreich sich bemüht, schon vor der Mitgliedschaft zur Europäischen Gemeinschaft zu gehören, zeigen die Novellierungen und Erlasse der letzten Monate und nicht zuletzt die Stimmungsmache, an der sich zum Schrecken der letzten Sozialisten nun auch die „linke“ (??) SPÖ beteiligt. (Zuletzt und besonders aufsehenerregend durch den „sozialistischen“ Parteisekretär Cap, der seinerzeit nur dank einer Kampagne der Linken über Listenplatz ins Parlament kam und nun verkündet, auch unser Boot sei voll.) Alles im Dienste eines österreichischen Österreichs, was immer das sein mag, jedenfalls möglichst hoher Mauern gegen die Zuwanderung der Armen. Auch die Gesetze für bzw. gegen Asylsuchende sind in den letzten Monaten novelliert worden. Paß-, Grenzkontroll-, Fremdenpolizei- und Asylgesetz ermöglichen nun auch hier, die Leute schon im Flugzeug zurückzuweisen, damit sie nicht im Transitraum vom Flughafensozialdienst vor Abschiebung geschützt werden. Man hat sich ein Beispiel an der in dieser Hinsicht vorbildlichen BRD und dem besonders erfahrenen Großbritannien genommen — da die Transportunternehmen die Kosten für die Rückreise tragen, übernimmt zum Teil schon das Flugpersonal am Abflugort die Auslese. Wer es dennoch, etwa auf dem Landwege, geschafft hat, ins Paradies zu kommmen, kann auch im Nachhinein noch abgeschoben werden, dazu gibt's das Fremdenpolizeigesetz, die Polizei muß nur die Ausländer erkennen. Ich verzichte darauf, den Vorgang dieser Suche nach Gesetzesübertretern mit dunkler Haut auszumalen. Die österreichische Politik gegenüber Ausländern führte in diesem Frühjahr zu scharfer Kritik der Helsinki-Federation of Human Rights.

Verhältnismäßig ausländerfreundlich hinsichtlich der Beschäftigungspolitik, zumindest auf den ersten Blick, gibt sich „die Wirtschaft“. Die Konservativen sind für einen freien Arbeitsmarkt, je freier, desto billiger die Areitskräfte, desto größer die Chance auf Rotation, also den Austausch alteingesessener Gastarbeiter (womöglich mit Familie) gegen frisches, unverbrauchtes Menschenmaterial.

AusländerInnen können in Österreich nicht Betriebsräte werden, es gibt nicht einmal — wie in der BRD oder der Schweiz — ein Niederlassungsrecht nach einer bestimmten Aufenthaltsdauer, keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und nur bedingt gesetzlichen Schutz vor Aufenthaltsverbot. Auch jener Teil der AusländerInnen, der überall in Westeuropa fester Bestandteil des sozialen Lebens wurde, ist deshalb hier als Gesprächspartner noch weniger präsent als in England, Frankreich oder der BRD, wo Interessenkonflikte — zum Beispiel zwischen Unternehmerverbänden und Gewerkschaft — offen ausgetragen werden.

Kriterienkatalog für Einwanderung

Kritisieren ist billig. Was aber kann man tun, fragen die gutwilligen Demokraten, die auch nicht den halben Osten oder auch nur ein Zehntel der Dritten Welt im Land haben wollen (und das sind vor allem die Grünen, die in diesem Punkt sehr konsequent Politik zu machen versuchen).

1.Die übertriebenen Zahlen richtigstellen, statt mit Fremdenangst zu jonglieren. Das hieße 2.anerkennen, daß Österreich ein Aus- und Einwanderungland ist, das heißt die österreichischen Gastarbeiter im Ausland in die Rechnung aufnehmen. An die Stelle unüberlegter ad- hoc-Maßnahmen sollte 3.eine überlegte Migrationspolitik treten (inklusive kommunales Wahlrecht, Doppelstaatsbürgerschaft wie in Frankreich oder Großbritannien, Investitionen, etwa im Ausbildungsbereich zur besseren Integration, erleichterte Einbürgerung, Direktinvestitionen im Ausland).

Würde man, so die Rechnung, die Bestimmungen für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft lockern, wäre die Quote der Ausländerbeschäftigung schnell drastisch geringer — unter diesen Umständen ließe sich dann auch über eine Begrenzung der Zuwanderung auf zehn Prozent diskutieren. Das hieße 4.Probleme, die aus Zu- und Abwanderung, legalen und illegalen Arbeitsverhältnissen, sozialen und politischen Rechten bestehen, nicht als Ausländerprobleme zu definieren.

5.könnte eine Diskussion der Rechte und Möglichkeiten (auch Notwendigkeiten) von Zuwanderung oder Einbürgerung die Stimmungsmache gegen „Ausländer“ ersetzen und damit 6.vorbildlich gegen Fremdenangst wirken. Die Zahlen, die das Institut für Demographie über Abwanderung, Geburtenrate, Wohnbevölkerung zusammengestellt hat, sprechen für eine solche Alternative.

Während die BRD ihre niedrigen Fertilitätsraten durch Deutschstämmige auffüllen kann, stellt sich für Österreich die Frage einer geplanten Zuwanderungspolitik auch ohne dieses Auslesekriterium.

Aber zur Zeit sind dies nur Stimmen in der fremdenfeindlichen Wüste, die da unter Berufung auf die italienischen, ungarischen und tschechischen Namen der österreichischen Politiker rufen: Österreich ist ein Zuwandererland. Wir sind alle Kinder oder Kindeskinder von „Wirtschaftsflüchtlingen“. Die Kampagne der Initiative „S.O.S. Fremdenangst“ hat noch keinen massenhaften Anhang gefunden und mit Ausländerfreundlichkeit werden auch die Grünen hierzulande keine Blumentopf gewinnen. Außerdem schielt Österreich nicht nur aus Lust und Dollerei zur EG und insbesondere zu der als Investor hier besonders kräftig vertretenen BRD.

Die Modernisierung des Kleinstaats in Randlage hat mehrere Seiten. Da hier bisher im Sinne der alles kompromisselnden Sozialpartnerschaft Konflikte kaum an die Oberfläche kamen, könnte der EG-Beitrittswunsch auch Verbesserungen zumindest für einen Teil der alteingesessenen Ausländer bringen.