Ökologie und Sozialismus

■ Jutta Ditfurths Rede auf dem Wahlparteitag der Linken Liste/PDS (Auszüge) DOKUMENTATION

Vorweg, um möglichen Gerüchten gleich den Garaus zu machen: Ich spreche als Grüne, und ich gedenke es auch zu bleiben. Ich bin Mitglied einer Partei, deren Gremien zur Zeit keinen ärgeren Feind zu kennen scheinen als Euch. Alles verschwindet hinter dieser offensichtlich teuflischen politischen Organisation: das Kapital, die Bundesregierung, die SPD, die Nato.

Paradox ist: Es sind die gleichen Grünen, die jetzt eine kritische inhaltliche Auseinandersetzung und eine punktuelle Zusammenarbeit mit der Linken Liste/PDS bekämpfen, die grüne Programmatik fallenlassen, sobald SPD, FDP oder CDU mit Koalitionen und Pöstchen winken. Inhaltliche Auseinandersetzung und gegebenenfalls punktuelle Zusammenarbeit war immer grünes Prinzip. Daran halte ich mich. Wer ausgrenzt, hat nichts Inhaltliches zu bieten. Ich gebe zu, eine qualifizierte politische Auseinandersetzung mit den Grünen ist zur Zeit schwer. Äußerungen von grünen FunktionärInnen wie Udo Knapp, Bernd Ulrich und Antje Vollmer, erwecken den Eindruck, als stünde ein Teil der Grünen kurz vor der Zustimmung zu Kriegskrediten.

Ich habe das Angebot, mich mit dem Programmentwurf auseinanderzusetzen, gern angenommen. Auffällig waren zwei Dinge. Viele Programmpunkte kommen mir erstens sehr bekannt vor. Manchmal geht es hart an die Grenze des Copyright-Bruches. Zweitens fand ich zwar viele kapitalismuskritische Bemerkungen, es fehlt aber eine durchgängige, eindeutige antikapitalistische Position.

In etlichen öffentlichen Äußerungen von PDS-Vertretern finden sich erstaunliche Illusionen und Wunschträume über die SPD, als sei sie Teil der gesellschaftlichen Opposition. Realistischer ist doch wohl, daß die SPD eine Kapitalpartei mit marginalisierter Sozialfraktion geworden ist. Oskar Lafontaine, der gegen Lohnausgleich bei Arbeitszeitverkürzung und Flüchtlinge wettert und sich mit einem „modernisierten“ militaristischen Großdeutschland in der Nato längst versöhnt hat, ist prototypischer Sozialdemokrat.

Im Programm finden sich, dazu passend, Fehleinschätzungen der bundesrepublikanischen Wirklichkeit. Es gibt keinen „sozialstaatlichen Kompromiß“, an den eine Linke Liste/PDS anknüpfen könnte. Eine Linke Liste, die die Ideologie von der Sozialpartnerschaft neu auflegt, das sage ich gerade als Gewerkschafterin, wäre keine Linke Liste, Kapital und Arbeit sind im Kapitalismus nicht zu versöhnen, und der dringende Wunsch, das so sehen zu können, treibt — ob mensch will oder nicht — perspektivisch nach rechts. Der „sozialstaatliche Kompromiß“ heißt in der BRD drei bis fünf Millionen Arbeitslose, viele Menschen in Psychiatrien, Altersheimen, Obdachlosenasylen, Isolation und Einsamkeit. Die Stärke einer linken Partei liegt auch in ihrer polarisierten Gegnerschaft zu Kapitalparteien und ihrer souveränen und bewußten Staatsfeindlichkeit. Die Hoffnung, linke Politik harmonisch und nicht polarisiert betreiben zu können, also ein bißchen netter, ist gefährlich falsch. Sozialistische Positionen stehen in antagonistischem Widerspruch zu den herrschenden Verhältnissen. Dummerweise läßt sich das nicht durch Beschluß ändern.

Einige PDS-Vertreter haben das Loblied der „Modernität“ und des „hohen technischen Niveaus“ des Kapitalismus gesungen. „Modern“ heißt gar nichts außer „neu“. Das ist kein Wert als solcher. Das „hohe technische Niveau“, was immer das sein mag, baut auf hemmungsloser Plünderung der ökologischen und menschlichen Ressourcen in der sogenannten Dritten Welt auf und hinterläßt seine Opfer auch in der reichen Bundesrepublik. Die Illusion, man könne Technik und Wissenschaft aus den konkreten kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnissen herausschneiden, war immer der SED, der KPdSU und der SPD gemein. Aber es gibt keine wertfreie Technologie. Eine für den Zweck der Profitmaximierung entwickelte Technologie sperrt sich gegen ihre humane und ökologische Umformung.

Jeder Fünf-Jahresplan sagte: wir zeigen dem Kapitalismus, daß wir ihn in seiner eigenen Entwicklungslogik überholen können. Dabei entstanden miserable Kopien in der DDR und Osteuropa und über sie vermittelt in der Dritten Welt. Daß dabei ähnliche Umweltprobleme entstanden, wenn auch zeitversetzt, ist kein Wunder.

Der Programmteil Ökologie zeigt insgesamt keine Spur von sozialistischer ökologischer Utopie und es ist, als ob all die linken ökologischen Erkenntnisse der letzten 16 Jahre auf dem Mond gewonnen worden wären.

Linke ökologische Politik muß Fortschrittsgläubigkeit als Aberglauben ablegen und akzeptieren, daß es in der Entwicklung von Technologie und Wissenschaft einen Punkt gibt, an dem Produktivkräfte in Destruktivkräfte umschlagen können, Beispiel: Atomenergie oder Gentechnik.

Die sofortige Stillegung aller Atomanlagen ohne Wenn und Aber, die harte Auseinandersetzung mit der Chemiemacht, die hervorragend begründbare Ablehnung der Gen- und Reproduktionstechnologien, sind solche Resultate einer langjährigen Auseinandersetzung, und sie fehlen in diesem Programm.

Ökologie ist mit Kapitalismus so verträglich wie Solidarität mit Profitgier oder Frauenbefreiung mit Patriarchat. Eine radikale, linke Politik hat ohne eine entwickelte radikal- ökologische Position keine Zukunft. Die sozialen Beziehungen menschlichen Lebens verbindet ein enges, unauflösliches dialektisches Verhältnis mit den ökologischen Grundlagen des Lebens. Ökologische Politik ist keine Nebenwiderspruch, sondern die Klassenfrage ist in der Gattungsfrage aufgehoben und erfährt durch sie Bestätigung, sowie sie sie verschärft, aber die soziale Frage ist eben nicht durch die ökologische Frage aufgehoben.

Die Ursachen von Naturvernichtung und sozialem Elend sind dieselben, und ohne Lösung der sozialen Probleme gibt es keine Rettung der Natur. Wer die Natur retten will, muß die Menschen, die unverschuldet und für das eigene Überleben die Natur plündern, wie in der Sahelzone oder im tropischen Regenwald, in die soziale Lage versetzen, überhaupt zwischen Alternativen des Überlebens entscheiden zu können. Die Forderung nach Schuldenstreichung in eurem Programmentwurf ist richtig, aber es genügt nicht, eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung zu fordern. Das ist eine richtige, aber moralische Kategorie. Etwas klarer wäre, wenn da stünde, daß der Austausch zwischen den Ländern der Erde auf gleichberechtigter Basis stattfindet, und das geht nur mit der radikalen, das heißt an die Wurzel gehenden, Umwälzung des kapitalistischen Weltmarktes. Und das beginnt meistens in den kapitalistischen Metropolen. An der Forderung, daß Wirtschaften auf Basis von Profitmaximierung bekämpft und abgeschafft werden muß, kommt kein linkes Programm vorbei.

Die DDR wurde von einer Industrienation zu einem Riesenschrottplatz gemacht.

Der Triumph der herrschenden Klasse (West) stabilisiert deren lebensgefährlichen deutschen Führungsanspruch in der kommenden Weltmacht Europa. Die wird eine Wachstumsfestung gegen Millionen Menschen in der sogenannten Dritten Welt, auf deren Blut und Knochen der große Reichtum vieler und der relative Reichtum von Millionen von Deutschen und Europäern aufbaut.

Wer nicht ersticken will unter Fahnen, Hymnen, feister Selbstgefälligkeit, Ausländerhaß und Kriegsvorbereitung — seien es militärische oder ökonomische Feldzüge —, wer das eigene Leben selbst bestimmen will, muß sich wehren. Der imperiale Siegeszug würde komplett, wenn wir uns nicht — über viele Grenzen, Erfahrungen und Vorbehalte hinweg — verbünden. Wer sich durch das berechtigte Scheitern stalinistischer Kommandowirtschaft jede befreiende sozialistische, antipatriarchale, radikalökologische Utopie aus dem Kopf rauben läßt, hat schon verloren. Der zentrale Ansatzpunkt ist der Aufbau einer außerparlamentarischen linken, vielfältigen Gegenmacht, die im Parlament verstärkt werden kann. Die Linke Liste/PDS kann und soll Teil dieser Opposition sein, aber sie ist nicht ihr Zentrum. Jutta Dithfurt