„Alle Illusionen verloren“

■ Das soziale Jahr: Einschätzungen von Mädchen, die freiwillig Dienst schieben

Schon seit Mitte der 60er Jahre gibt es die Möglichkeit, bei den Wohlfahrtverbänden ein freiwlliges soziales Jahr (FSJ) zu machen. Vor allem in Zeiten großer Jugendarbeitslosigkeit meldeten sich relativ viele Mädchen und einige Jungen zum Dienst in Krankenhäusern, Alten-und Kinderheimen. Seit der Entspannung auf dem Arbeitsmarkt sind die Zahlen rückläufig. In der Regel werden Unterkunft und Verpflegung gestellt. Dazu gibt es ein „Taschengeld“, das je nach Organisation zwischen 300 und 500 Mark schwankt. Alle Verbände bieten eine pädagogische Begleitung an und bemühen sich nach eigenen Angaben, die Jugendlichen „nur als Zusatzkräfte“ in den Einrichtungen einzusetzen.

Bitte das Mädchen

Caroline Heider ist 20 Jahre alt. Sie hat das Abitur gemacht und will Medizin studieren, muß allerdings noch auf einen Studienplatz warten. Für angehende MedizinstudentInnen zählen Wartesemester, in denen ein FSJ gemacht wird, doppelt. Caroline arbeitet seit April 1990 in einem Altenpflegeheim der AWO (Arbeiterwohlfahrt) in Arbergen. „Für das FSJ bekommt man normalerweise ein Zimmer, Verpflegung und Taschengld. Da ich hier in der Nähe wohne, schlafe ich bei meinen Eltern und bekomme 700 Mark ausgezahlt. Daß die Arbeit hier für die Wartezeit doppelt zählt, ist ein Grund, warum ich das mache. Ich kann hier aber auch feststellen, ob ich mit der Pflege alter und kranker Menschen überhaupt klarkomme. Am Anfang fand ich es schon sehr hart. Diese Arbeit wird in der Öffentlichkeit oft unterschätzt und auch schlecht gemacht. Ich merke das in meinem Freundeskreis: die sagen, sie selbst würden so eine Arbeit niemals machen.“

Die 18jährige Birthe hat sich auf Vorschlag ihres Vaters zu einem FSJ bei der Inneren Mission entschieden. Sie wollte Kinderkrankenschwester werden, hat aber den Hauptschulabschluß nicht geschafft. Durch die Arbeit im Kindergarten der Inneren Mission hat ihr so gut gefallen, daß sie den Realschulabschluß nachmachen und dann Kindergärtnerin werden will. Die Erinnerungen der 32jährigen Birgit an ihr FSJ vor über zehn Jahren bei der Caritas in Berlin sind weniger gut. Das erste halbe Jahr im Krankenhaus bestand überwiegend aus Putzdienst auf einer Sterbestation. Immerhin ist ihr da klar geworden, daß ihr ursprünglicher Berufswunsch „Krankengymnastin“ nicht das Richtige war. Im zweiten Halbjahr in einem Kindergarten hat sie angesichts des abgebrühten Umgangs der meisten BetreuerInnen mit den Jungen „alle Illusionen über Sozialarbeit verloren“. asp