Kreuzberg in four hours

■ Wie die Kultursenatorin einmal einen Bezirk kennenlernte

Als die Pinguinnen mit langen Schritten aus bequem-eleganten Pumps um die Straßenecke streben, fragt doch so ein Treppenstufenlümmler glatt: »Na, geht's zu 'ner Beerdigung?« Dabei eilen die geschäftigen schwarz-/ graugewandeten unter Zurücklassung der Männer (»wir müssen leider draußen bleiben«) ihrer lilafarbenen Senatorin hinterher in die Schokofabrik in der Mariannenstraße, um auch dort wieder diverse Fliegen auf einen Streich zu erledigen: »Frauenprojekt«, »Soziokultur«, »deutsch- türkische Kommunikationsstätte« und nicht zuletzt »Kunst am Bau« gibt das dortige »Türkische Bad« her. Denn schließlich sollte — noch vor der eigentlichen Beerdigung des Bezirks — Kreuzberg noch schnell mal so richtig kennengelernt werden, wofür sich die Kultursenatorin Anke Martiny unter Führung der Kunstamtsleiterin Krista Tebbe zusammen mit diversen Verwaltungspersonen und der Journaille doch lockere vier Stunden Zeit nahm. Die Bezirksstadträtin für Kultur aus Prenzlauer Berg war auch gleich dabei. Schließlich soll diese ja alsbald das Erbe von Kreuzberg übernehmen — gleich nach dessen unmittelbar bevorstehender Einbetonierung.

Also rutschten die Damen — nun pumpslos — auf Strümpfen durch das türkische Bad und ließen sich von einer netten Schwäbin erklären, wie das türkische Baden gehe, indes Nackte kichernd am Hochbesuch vorbeihuschten. Anschließend Schreinerinnenwerkstatt-Gucken, gerade hatte man schon deutsch- japanischen Butoh-Tanz im Ballhaus Naunynstraße inklusive Einführungsvortrag genossen (»die Geschichte des Ballhauses beginnt 1863«), die leeren Räume des noch gar nicht existenten Kreuzberg-Museums in der Adalbertstraße gesehen und zur Begrüßung den inbrünstigen Gesang einer wunderbaren türkischen Kindergroßcombo (»integrative Wirkung«) abgenommen.

In der türkisch-deutschen Namik- Kemal-Bücherei im Künstlerhaus Bethanien ging's dann um »Sachmittel«, »Haushaltsansätze«, den »Bibliotheksentwicklungsplan«, »soziale Akzeptanz« und »Freizeitverhalten«, während im selben Haus noch kleinere Kinder sich jugendmusikschulen ließen und im Keller Künstler mit schweren Steinen Druck auf Papier und auf die Senatorin auszuüben trachteten, denn die Hälfte der Woche steht die Werkstatt mit den teuren Maschinen leer, seit es dort nur noch eine halbe Stelle zur Betreuung gibt, während doch Hunderte von Künstlern vor allem auch aus dem Osten ohne Werkstatt dastünden. Die Senatorin zuckt mit den Achseln. Sie weiß. Und sie macht noch nicht einmal Versprechungen. Sie tut auch nicht so, als legte sie sich schwer ins Zeug. Sie ist durch und durch defensiv. Auch Wahlkampf ist die Sache der Senatorin nicht.

In einem Abbruchatelier am Leuschnerdamm warten Künstler auf die Senatorin und auf ihren eigenen Rausschmiß wg. Kita-Bau. An einer Wand haben sie ihre Raumsuchanzeige sowie die eingegangenen Angebote aufgehängt: Die Wand ist leer, es gibt keine Angebote, noch nicht einmal solche, die unerschwinglich wären. Wer vermietet schon an Hungerleider Gewerberäume, wenn jetzt Hauptstadt-Quadratmeterpreise verlangt werden können. Das gilt übrigens auch für die städtischen Immobilien, wie die Kultursenatorin vorrechnet: Auch die müßten so teuer wie möglich vermietet werden, damit Geld in die leere Kommunalkasse käme. Klasse findet Martiny dafür den Vorschlag, die Kommunen könnten Künstler doch durch Ankäufe unterstützen: Die Stadt kauft beispielsweise der Künstlerin jährlich ein Bild für 5.000 Mark ab. Davon kann sie dann schon mal anderthalb Monatsmieten zahlen. Warum die Stadt allerdings den Umweg über die Künstlerin wählt und die 5.000 Mark nicht gleich auf das Vermieterkonto zur Porsche-Finanzierung überweist, verrät die SPD-Genossin nicht. Und daß die Künstler mittlerweile gar nicht mehr auf Ateliers hoffen, sondern sich — bis sie die Stadt endgültig verlassen haben — schon mit Lagerräumen für ihre Bilder zufriedengeben würden, mag die Senatorin erst gar nicht hören. »Die ausgewählten Kündigungsschreiben« und 800 Unterschriften zum Ateliernotstand werden dem Volksbildungsstadtrat bei der abschließenden Pressekonferenz (»mit Fototermin«) im Touri-Tinnef- Caféhaus Adler rituell übergeben. Doch da ist schon wieder von »bunter Vielfalt«, »schwieriger Finanzlage« und anderen Banalitäten die Rede. Noch hat die Beerdigung des Bezirks ja offiziell nicht stattgefunden. Doch bis es soweit ist, läßt sich's angenehm im Café Allgemeinplätzchen verteilen. grr