Auf dem Drahtesel durch die Grüne Insel

■ Irland - ein Radlerparadies. Ein Landeskenner gibt Tips

Irland — ein Radlerparadies · Ein Landeskenner gibt Tips

VONRALFSOTSCHECK

Dublin zur Hauptverkehrszeit: Ein weißer Lieferwagen wechselt ohne Vorwarnung die Spur und drängt einen Radfahrer zur Seite. Der Radler kann dem Auto gerade noch einen Fußtritt verpassen, bevor er entnervt absteigt und den Drahtesel schiebt. Radfahren ist zwar die schnellste Fortbewegungsart im Dubliner Berufsverkehr, aber ein Vergnügen ist es nicht. Radwege sind eine Seltenheit, und so müssen die RadfahrerInnen ständig auf der Hut vor den Blechkisten sein — und vor FußgängerInnen, die bei roter Ampel über die Straße sprinten. Bei den für ihre Freundlichkeit berühmten DublinerInnen geht ein erstaunlicher Wandel vor, sobald sie sich hinter das Steuer setzen: Rücksichtnahme und defensives Fahren werden schlagartig zu Fremdworten. Laut Statistik gibt es in Irland im Vergleich zur Zahl der Autos die meisten tödlichen Unfälle der Welt.

Wer sich dennoch mit dem Rad ins Verkehrsgewühl der Innenstadt wagt, muß ein gutes Schloß mitnehmen. Der Handel mit geklauten Rädern floriert in Dublin mindestens ebensogut wie in anderen Großstädten. Besser ist es allemal, das Rad bei „Square Wheel Cycleworks“ in der Temple Bar gegen eine geringe Gebühr abzustellen. Bei dieser Fahrradkooperative kann man auch Fahrräder reparieren oder generalüberholen lassen. Unter derselben Adresse ist „Cyclefolk“ zu erreichen. Diese Organisation vertritt die Interessen der RadfahrerInnen und gibt einen Infobrief heraus. Die Temple Bar mit ihren Hugenottenhäusern und engen Gassen aus dem vergangenen Jahrhundert ist eines der interessantesten Viertel der irischen Hauptstadt. Früher war hier das Geschäftszentrum Dublins. Bis vor kurzem bestanden Pläne, das Gelände in einen großen Busbahnhof umzubauen. Da jedoch seit Anfang der 80er Jahre unzählige kleine Läden und Cafés aus dem Boden geschossen sind, wurde dieser Plan aufgegeben, nicht zuletzt deshalb, weil die städtische Busgesellschaft tief in den roten Zahlen steckt.

Irland ist schon lange nicht mehr das billige Urlaubsland, das es noch vor fünfzehn Jahren war. Die hohe Inflationsrate hat dafür gesorgt, daß die Preise längst westeuropäisches Niveau erreicht — und teilweise überschritten — haben. Das Guinness, das schwarze Nationalgebräu, schmeckt zwar in Irland besser als auf dem europäischen Festland, da es den Transport nicht gut verträgt, billiger ist es jedoch nicht. Dennoch muß ein Irlandurlaub kein Vermögen kosten. „Wildes“ Zelten ist in ländlichen Gegenden fast immer möglich, allerdings sollte man vorher um Erlaubnis fragen. Wegen des unberechenbaren Wetters ist es empfehlenswert, einige Übernachtungen in Jugendherbergen einzuplanen — zum Trocknen. Es regnet oft in Irland, aber (fast) nie sehr lange. In seinem Irischen Tagebuch schrieb Heinrich Böll dazu: „Man kann diesen Regen schlechtes Wetter nennen, aber er ist es nicht. Er ist einfach Wetter, und Wetter ist Unwetter.“

Im Landesinnern gibt es nur wenige Jugendherbergen, in den touristischen Küstengegenden sind sie dagegen recht verbreitet. Die Übernachtung kostet etwa zehn Mark.

Nicht viel teurer sind die „bed and breakfasts“. Außer der Übernachtung ist das berüchtigte englische Frühstück mit Speck, Eiern, Würstchen und gebratenem Brot inbegriffen, das mindestens bis zum Nachmittag wie ein Klotz im Magen liegt. Irland ist ohnehin nicht für kulinarische Genüsse bekannt, doch die gröbsten Schrecken hat die irische Küche inzwischen verloren. Der in dickem Teig fritierte Fisch mit fettigen Pommes frites ist zwar noch immer vorherrschend, aber mittlerweile gibt es erträgliche Alternativen. Viele Kneipen bieten mittags preiswerte Mahlzeiten an.

Fahrradenthusiasten behaupten, daß Irland ein Radlerparadies sei: Die Nebenstraßen sind gewunden und unübersichtlich — ein Alptraum für Autofahrer. An den Linksverkehr gewöhnt man sich schnell. Doch ohne ein tourentaugliches Rad mit zehn Gängen wird man sich auch im Radlerparadies totstrampeln. Die Entscheidung, ob man das eigene Rad mitnehmen oder in Irland eines mieten soll, hängt von der Länge der Reise ab. Wer mindestens vierzehn Tage bleiben will, sollte das eigene Rad einpacken. Dazu müssen auch Ersatzteile mitgenommen werden — Schläuche, Reifen (der irische Straßenbelag ist rauh), Schraubenschlüssel und vor allem Schrauben, da in Irland oft nur Schrauben mit Zollgewinde erhältlich sind. Die meisten Fluggesellschaften befördern Räder in der Regel problemlos als normales Reisegepäck (bis 20 Kilo) oder bei manchen Charterflügen für einen Aufpreis von 50 Mark. Die Anreise mit dem Auto und der Fähre ist bei vollbesetztem Wagen sicher die billigste, aber auch anstrengendste Möglichkeit. Die umweltfreundlichere und bequemere Variante mit Bahn und Schiff ist leider nicht zu empfehlen: Sie ist zu teuer und erfordert genaueste Recherchen, in welchen Zügen Räder mitgenommen werden können.

Wer es gemächlicher angehen lassen und nicht wochenlang im Sattel sitzen will, fährt billiger, sich in Irland ein Rad zu mieten. Für etwa zehn Mark am Tag kann man in fast allen Orten Räder leihen. Allerdings handelt es sich dabei meist um wahre Stahlrosse mit höchstens fünf Gängen. Mittlere Steigungen können da schon zu unüberwindlichen Hindernissen werden. Die besseren Räder sind selten und sollten vorher gebucht werden. Ratsam ist es allemal, den gesäßfreundlichen eigenen Sattel in den Koffer zu packen.

Auch das beste Rad fährt nicht von alleine. Zur Streckenplanung gehört eine realistische Einschätzung der Kondition. Viel Training ist nötig, um die Gipfel der Mourne Mountains an der inneririschen Grenze zwischen Dublin und Belfast zu erklimmen. Auf dem Weg dorthin kann man sich im Boyne-Tal schon mal warmfahren. Dort wimmelt es geradezu von historischen Stätten. Die bekannteste ist Newgrange, ein 4.500 Jahre altes Kuppelgrab — tausend Jahre älter als die Pyramiden. Nebenan liegt das Schlachtfeld, auf dem Wilhelm von Oranien und James II. am 12. Juli vor genau 300 Jahren die Schlacht um die englische Thronfolge ausgetragen haben. Die Schlacht endete mit dem Sieg des protestantischen Wilhelm. Nordirlands Protestanten feiern das Ereignis noch immer, als sei es erst gestern geschehen.

Ganz im Norden liegt der „Giant's Causeway“, ein Naturphänomen aus Basaltsäulen, das vor 60 Millionen Jahren entstanden ist, als Lavamassen durch die Erdkruste brachen und erstarrten. Zwar hat die Zahl der NordirlandtouristInnen 1989 zum ersten Mal seit Ausbruch der „troubles“ — wie der Krieg hier verharmlosend genannt wird — die Millionengrenze überschritten, doch vom Massentourismus ist das Land noch weit entfernt. So ist selbst die landschaftlich schöne Küstenstraße der Grafschaft Antrim — sie führt von Belfast zum „Giant's Causeway“ — mit ihren vielen Stichtälern auch für RadfahrerInnen gut befahrbar.

Die Grafschaften im südlichen Teil des Landesinnern bestehen vorwiegend aus weiten Ebenen und harmloseren Hügelketten — ideal für AmateurradlerInnen. Obwohl die Landschaft durchaus ihre Reize hat, stößt man hier kaum auf TouristInnen. Die tummeln sich alle an der abwechslungsreicheren Westküste. Von der Grafschaft Kerry im Süden, wo dank des Golfstroms Palmen wachsen, bis zur eher kargen Landschaft Donegals im Norden ändert sich die Szenerie ständig.

Fans irischer Musik werden jedoch nicht weiter als bis zur Grafschaft Clare kommen: Auch der kleinste Ort veranstaltet hier im Sommer ein Musikfestival mit verlängerten Kneipenöffnungszeiten. Darüber hinaus bietet der „Burren“ Interessantes für Höhlenforscher. Diese Karstlandschaft ist wie ein Karnickelfeld von Höhlen durchzogen, von denen die meisten noch unerforscht sind. Das steinige Land ist zwar ein Ärgernis für Bauern, weist aber dennoch eine erstaunlich vielfältige Vegetation auf: Von Alpenpflanzen bis zu mediterranen Gewächsen ist hier alles zu finden. Für RadlerInnen gibt es im Burren eine Spezialherberge: Rolfs Cottage. Der Besitzer, Rolf Fendler, war Spitzenkandidat der Alternativen Liste in Berlin-Spandau, bevor er vor fünf Jahren nach Irland auswanderte. Die Übernachtung kostet bei ihm vier Pfund (zehn Mark). Rolf hat zwei natürliche Feinde: Schnecken, die über sein Gemüse herfallen, und Füchse, die beharrlich seine Entenzucht dezimieren. Wer jetzt schon Schwielen am Hintern hat, kann hier den Rest des Urlaubs mit Rolfs umfangreicher Spielesammlung verbringen.