An Boykott war nie gedacht

Die XI. Asienspiele sind eröffnet: China, Japan und Südkorea werden sich die Medaillen teilen, und der Westen kritisiert mit gespaltener Zunge  ■ Aus Peking Jürgen Viethen

Seit den Olympischen Spielen von Moskau 1980 hat wohl kaum eine Sportveranstaltung so in der Kritik der westlichen Presse gestanden wie die XI. Asienspiele, die gestern in Peking eröffnet wurden. Mit einem großen Showprogramm, bei dem 22.000 Mitwirkende Musik, Tänze und zackige Märsche vorführten, soll der sportliche Teil der asiatischen Spiele endlich beginnen.

Durch die Niederschlagung der Demokratiebewegung im Juni 1989 hatte sich die Pekinger Führung in die Isolation manövriert. Die Asienspiele, die kurz nach dem glanzvollen Comeback chinesicher Sportler bei Olympia 1984 an Peking vergeben wurden, sollen verlorenes Prestige zurückholen und China als potenten Wirtschaftspartner anpreisen. Die einzige Absage durch das mit finanziellen Sorgen belastete Jordanien zeigt deutlich, daß die Asiaten so schnell wie möglich zur Tagesordnung übergehen wollen. Weder in Taiwan noch in Südkorea und Japan stand ein Boykott jemals ernsthaft zur Debatte. Die sich kurzzeitig formierende Boykottfront in Hongkong bröckelte unter dem Druck mächtiger Wirtschaftsbosse in nur wenigen Monaten schnell ab. Sind nun die Asiaten skrupellose Geschäftsleute, oder mißt der Westen mit zweierlei Maß? Tatsache ist, daß der Plan für die Asienspiele bis ins Detail schon vor dem 4. Juni Bestand hatte, in einer Zeit, als man sich in Europa und den USA mit Lobeshymnen über die Wirtschaftsreformen und den neuen „Steuermann“ Deng Xiaoping geradezu überschlug. Weder die Führung hinter den Mauern des Regierungsviertels war seit dem vergangenen Jahr in den entscheidenden Postitionen ausgewechselt worden, noch wurde die Kostenplanung weit überschritten. Die Köpfe und die Konzeptionen blieben auch nach dem 4. Juni unverändert.

„Hinter jeder Aktion wird heute der ,4. Juni‘ gesehen, man muß die Geschehnisse einfach stärker differenzieren“, sagt ein Sinologe des Pekinger Goethe-Institutes. Ein Vergleich mit den früheren Veranstaltern bringt mehr Licht hinter die Ereignisse im Vorfeld der Asienspiele:

—Mit ungefähr 500 Millonen Dollar sind die Asienspiele in Peking deutlich preiswerter als 1986 Seoul (3,3 Mrd. Dollar) und 1982 Neu Delhi (1 Mrd.). Taipeh plant für eine mögliche Ausrichtung der Spiele 1998 mit der zehnfachen Summe. China baute in erster Linie auf eigene Resourcen. Nur 30 Prozent der benötigten Waren wurden importiert.

—Die Sicherheitsmaßnahmen sind gewaltig, doch übertreffen sie kaum die Vorkehrungen Südkoreas 1986 oder zwei Jahre später bei Olympia. Pekings Führung erlaubte sich sogar die „Großzügigkeit“, den Studienbetrieb während der Wettkämpfe fortzuführen.

—Vor allem die Hongkonger Zeitungen überbieten sich täglich mit neuen Gerüchten, die von anderen westlichen Journalisten und Geschäftsleuten nur selten bestätigt werden können.

Der Sport hat seine Unschuld längst verloren

Wenn heute China das Recht abgesprochen wird, Olympische Spiele im Jahre 2000 auszurichten, so sollten sich die Vertreter des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) daran erinnern, daß sie Seoul 1981 ausgewählt haben, obwohl die Militärs nur Monate zuvor Hunderte von Studenten in Kwangju niedergeschossen hatten. Und die Spiele 1968 in Mexiko waren begleitet von brutaler Repression gegen die Bevölkerung.

Daß China mit den Asienspielen an seine finanziellen Grenzen stößt und die Organisation nicht selten vor dem Kollaps stand, ist natürlich deutlich zu sprüren. Doch wer in Asien außer Japan und vielleicht Südkorea käme sonst noch als Veranstalter solch gigantischer Wettkämpfe in Frage, ganz zu schweigen von Olympischen Spielen? Der Sport, wenn er denn nun eimal in dieser Form von den Funktionären und Politikern gewollt wird, hat seine moralische Unschuld schon lange verloren, und würde zum Monopol einiger wirtschaftlich potenter Staaten werden.

Einhundert Goldmedaillen heißt das Minimalziel, das vom chinesischen Delegationschef Yuan Weimin ausgegeben wurde. Doch drücken die einheimischen Fans und auch viele prestigesüchtige Funktionäre offen aus, daß die Grenze eher noch höher anzusetzen sei. China hat sich selbst wieder unter Leistungsdruck gesetzt. Aus der Niederlage bei den letzten Olympischen Spielen, als zuvor „wissenschaftliche“ Untersuchungen zwölf- bis 15mal Gold vorausgesagt hatten, hat niemand etwas gelernt. Der damalige Abstand von fünf zu zwölf gegen den Gastgeber Südkorea schraubt den Druck eher noch höher.

China setzt seine Sportler unter Druck

Trotzdem sind die Athleten aus dem „Reich der Mitte“ bestens vorbereitet. Mit einem unter modernsten wissenschaftlichen Methoden ausgearbeiteten Trainingsprogramm hoffen die Ruderer dirket reinen Tisch zu machen, die Turner, so der Männer- Tainer Yang Mingming, glauben auch, daß mit ein bißchen Glück für die Konkurrenz bestenfalls ein paar Silbermedaillen übrig bleiben.

Vor allem in den Frauen-Sportarten wird China mit einer Schwemme von Medaillen rechnen dürfen. Doch gelten dem Tischtennis-Teamwettkampf, dem Fußballendspiel und den Volleyballbegegnungen höchste Aufmerksamkeit. Besonders Südkorea, das noch vom olympischen Wind profitiert, könnte diese Pläne durchkreuzen. Den Japanern wird nicht viel mehr übrig bleiben, als den dritten Platz gegen Nordkorea zu verteidigen.

Nur wenige Teams nehmen hier aus reiner Freundschaft teil. Die großen Favoriten wollen ihren Status quo behalten, die kleinen Verfolger wie Thailand, Malaysia, Iran und Taiwan versuchen, die Brosamen zu erhaschen. In fast völlig desolatem Zustand ist das riesige Hongkong- Team angekommen. Der Vorsitzende des Sportverbandes Sales über die Stimmung: „Wenn ihr schon verliert, dann tut es bitteschön mit Würde.“