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Schwimmen dem Amt die Fälle weg?

Das Bundeskartellamt im Spannungsfeld von EG-Fusionskontrolle und dem Ende der DDR  ■ Von Dietmar Bartz

Rein rechnerisch kommt das Bundeskartellamt durch die politischen Veränderungen in Ost und West ganz gut weg. An die Fusionskontrolle der Europäischen Gemeinschaft, die seit dem 21. September in Kraft ist (siehe taz von gestern), verliert die Behörde geschätzte zehn Fälle jährlich und fünf nach Brüssel abgeordnete Beamte. Dafür kommt nach dem Ende der DDR am 3. Oktober ein großer Teil der 50 bisher beim DDR-Amt für Wettbewerbsschutz Beschäftigten zum Bundeskartellamt. Sie bringen 80 abgeschlossene Fälle mit, 150 bis 200 weitere Ost-West-Unternehmenszusammenschlüsse sind jetzt schon absehbar, und im nächsten Jahr kann die Zahl auf zwei- bis fünftausend Fusionsanträge steigen.

Diese Zahl zu schätzen ist natürlich hohe Politik: Endet die Mehrzahl der jetzt im Koma liegenden DDR-Betriebe tatsächlich im Exitus, wird sie wesentlich kleiner sein. Und so ist auch nicht entscheiden, ob das Bundeskartellamt mit einem oder zwei neuen Beschlußabteilungen ausgestattet wird.

Nun hat das Amt in der Wirtschaftspolitik schon an sich, aber besonders noch einmal derzeit eine seltsame Funktion. Im Prinzip machen es sich die Beamten relativ einfach. Sie arbeiten, mit dem Kartellgesetz in der Hand, streng nach Vorschrift, verfügen aber über gewisse Ermessensspielräume und abgestufte Instrumente, um Druck auf Unternehmen auszuüben. Gewiß haben sie zudem die grundsätzliche Sympathie der Öffentlichkeit und sehr vieler Medien auf ihrer Seite. Wird die Debatte über ihre Entscheidungen politisch, verweisen sie auf das Gesetz; reichen ihre gesetzlichen Möglichkeiten aber wieder einmal nicht aus, verweisen sie auf die Politik.

So kommt dem politischen Geschick des jeweils amtierenden Wirtschaftsministers eine zentrale Bedeutung zu. Die Ansichten des BunBegehrlichkeiten der Industrie auf der anderen Seite — ein Minister könnte hervorragend Kompromißpolitik betreiben, ohne sich selbst sonderlich in die Schußlinie zu stellen. Und das Amt wäre auch zufrieden: Es könnte sich stets als aufrechter Hüter des Wettbewerbs präsentieren, nähme von Zeit zu Zeit notgedrungen Niederlagen hin und ginge ansonsten seiner Arbeit nach. Die Balance bliebe gewahrt, die Kompetenzen blieben unhinterfragt, die Meriten verteilt und der Gesichtsverlust hielte sich in Grenzen.

Doch schon als Martin Bangemann noch als Wirtschaftsminister amtierte, war das Verhältnis zwischen Berlin und Bonn unterkühlt, und sein Nachfolger Helmut Haussmann hat es ebenfalls nie verstanden, das Amt zu funktionalisieren. Zwar war die Daimler/MBB-Fusion eine Erblast Bangemanns, aber als Politiker mit Konzepten, Durchsetzungsvermögen oder gar Virtuosität hat sich Haussmann weder vor noch nach seiner Ministererlaubnis zugunsten des Daimler-Konzerns präsentieren können. Und so hat er es auch nicht verstanden, die Balance wiederherzustellen; der Eindruck ist geblieben, daß er das Amt eher als hinderlich denn als nützlich fürs Geschäft betrachtet. Da aber die Quantität seiner öffentlichen Äußerungen seiner qualitativen Konzeptionslosigkeit entspricht, Haussmanns derzeitige Funktion gar hauptsächlich im Nicht-Rücktritt zu bestehen scheint, wird sich erst nach den Bundestagswahlen im Dezember die Möglichkeit ergeben, daß sich die Disproportionalitäten unter den in der Wirtschaftspolitik tonangebenden staatlichen Stellen verändern.

Selbstverständlich kann das Amt den Konzentrationsprozeß in der Bundesrepublik ebensowenig aufhalten oder auch nur nachhaltig verlangsamen wie die KollegInnen in Brüssel jetzt die Mega-Fusionen in der EG. Im übrigen geht es ja auch nicht davon aus, daß eine Fusion schon an sich schlecht ist, sondern erst dann, wenn eine Marktbeherrschung unmittelbar droht — auch wenn sich Wolfgang Kartte, der Präsident des Bundeskartellamts, zuweilen besorgt über die Demokratie- Defizite in Großunternehmen und in der EG, über die Industriepolitik der Bankenchaft und überhaupt über das mangelnde Interesse an der Fusionskontrolle geäußert hat.

Nun ist im letzten Jahr die politische Enthauptung des Bundeskartellamts durch die EG gescheitert. Zu Beginn der heißen Verhandlungsphase, im Spätherbst 1988, hatte der inzwischen nach Brüssel abgerückte Wettbewerbs-Kommissar Bangemann einen Plan akzeptiert, demzufolge die EG-Fusionskontrolle schon ab einem sehr niedrigen Gesamtumsatz der beteiligten Unternehmen zuständig werden sollte — das Bundeskartellamt hätte gleich aufgelöst werden können. Inzwischen ist die Aufgreifschwelle nicht nur substantiell erhöht, sondern der Spieß durch die personelle Besetzung auch umgedreht; allerdings werden die Größtfusionen nun im fernen Brüssel verhandelt, das durch den Zusammenbruch der DDR noch weiter aus dem öffentlichen Interesse gerückt ist.

Für die unmittelbare Prüfung von Unternehmenszusammenschlüssen in der DDR wird die EG voraussichtlich in keinem Fall zuständig sein, weil die ostdeutschen Unternehmen nunmehr nur noch regionale wettbewerbliche Bedeutung haben. Zugleich ist das Murren des für den Wettbewerb zuständigen EG-Kommissars Brittan darüber, daß westdeutsche Unternehmen in Ostdeutschland bevorteilt würden, durch einige französische und britische Großeinkäufe bei Zement, technischen Gasen und Medien inzwischen weitgehend abgestellt. Aktuell beschränkt sich Brüssel in puncto Wettbewerb im wesentlichen darauf, die Verhandlungen um den Einstieg von British Airways bei der Interflug zu beobachten.

Aus einer dritten Debatte um Industriepolitik jedoch wird sich das Amt nicht heraushalten können — und es vermutlich auch gar nicht wollen. Die erste war über die Daimler/MBB-Fusion entbrannt und ist — trotz Jäger '90 und Airbus — inzwischen fast vergessen, die zweite beruht auf den unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Konzeptionen innerhalb der EG und findet (wie die ganz ähnliche um die Wirtschafts- und Währungsunion) kaum innerhalb der BRD statt. Die dritte jedoch wird wieder in der BRD geführt werden, auch wenn nicht das Bundeskartellamt, sondern die Treuhandanstalt die mühselige Entflechtungsarbeit in der DDR übernommen hat. Denn strukturell paßt es nicht zusammen, daß betriebswirtschaftlich optimale Größen und volkswirtschaftlich gewollte Marktanteile sich decken. Anders ausgedrückt: Nicht in allen Fällen werden Treuhandanstalt und Bundeskartellamt ihre informellen Kanäle untereinander und zur Industrie so nutzen können, daß es zum wettbewerbspolitisch reibungslosen Abverkauf der überlebensfähigen DDR-Unternehmen in den Westen kommen wird. Oder noch anders formuliert: Auf den neuen Wirtschaftsminister, welcher Partei auch immer er angehören wird, kommt eine Flut von Erlaubnisbegehren zu. Das könnte zumindest dazu führen, daß die Fragen ökonomischer Macht in der BRD neu diskutiert werden - vielleicht sogar in der EG.

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