Gewehrsalven und viel Zuckerrohrschnaps

Die Rekruten der „National Patriotic Front“ in Liberia zweifeln am Sinn ihres Kampfes/ „Auch tief im Busch sind wir nicht mehr unseres Lebens sicher“/ Unsterblichkeit durch Wundermedizin?/ Währenddessen versinkt Monrovia im Krieg  ■ Aus Nimba und Abidjan Peter Labbé

„Who is our Leader?“ — „Charles Taylor!“ Der vom fünften Bataillon der „National Patriotic Front of Liberia“ (NPFL) beim Morgenappell gebrüllte Spruch klingt trotz dreifacher Wiederholung nicht mehr so euphorisch wie vor Monaten. Vielen der tausend Rekruten in Saclepea, im Herzen Nimba Countys, ist nicht mehr klar, wofür sie eigentlich nach Monrovia in die Schlacht geschickt werden. Das einzige klar formulierte Ziel der NPFL, die Beseitigung Does, ist schließlich erreicht. Und Johnson ist ja „eigentlich“ auch ein NPFL-Kommandant. Und warum die westafrikanischen Soldaten der Friedenstruppe Ecomog, die Doe doch auch mit hereingelegt haben, bekämpft werden sollen, ist dem 14jährigen „Freedom Fighter“ Junior Karpeh aus Buchanan auch nach der Ansprache seines Kommandeurs zu „ausländischen Invasoren“ nicht klargeworden. In seiner Heimatstadt an der Küste kam er mit den Ghana- stämmigen Fanti-Fischern, die dort nun in regelrechten Konzentrationslagern gehalten werden, stets gut zurecht.

Mit dutzenden Gewehrsalven und viel Zuckerrohrschnaps hatten auch die meisten Kommandanten der NPFL den Tod des gehaßten Dikators Samuel Doe bis in die Nacht gefeiert. Dafür hatten sie schließlich jahrelanges Exil und einen fürchterlichen Krieg in Kauf genommen. Doch wofür kämpft die NPFL nun weiter? Auf diese Frage blockt Kommandant Moses Tarkpor mißtrauisch-aggressiv ab. Er war zusammen mit Charles Taylor und Prince Johnson in Libyen im Guerillakampf ausgebildet worden.

Nicht nur er kommt mit der neuen Situation nicht klar. Johnson war bis März 1990 militärischer Chef der NPFL, provozierte dann durch willkürliche Exekutionen den Bruch mit dem arroganten Ameriko-Liberianer Taylor. Etwa 150 der 185 Libyen- trainierten NPFL-Kommandanten sind wie Johnson Mitglieder des Gio- Volkes, wagten im März aber noch nicht die offene Meuterei. Schon im Juli kursierten Gerüchte in Nimba County, daß die einflußreichen NPFL-Kommandanten Cooper Tiah und Zoe Guah mit ihren Gefolgsleuten das Rebellenlager Gborplay an der Grenze zur Elfenbeinküste unter ihre Kontrolle gebracht hätten, um Prince Johnson zu unterstützen. Die Kolporteure der Falschmeldung wurden verhaftet, doch die Unruhe unter Rekruten und Zivilbevölkerung nahm seitdem zu.

Zum Freiheitskämpfertraining aus Bassa und Lofa County angereiste Jugendliche treten nicht selten klammheimlich die frühzeitige Rückwanderung an, zusätzlich ernüchtert von Kommandantenwillkür und schlechter Verpflegung. Und Flüchtlinge, die nach einwöchigem Fußmarsch aus Monrovia ausgemergelt eintreffen, überlegen bisweilen, gleich bis in die Elfenbeinküste weiterzulaufen. „Ganz gleich, ob demnächst die rachsüchtigen Mandingos als Ecomog-Soldaten aus Guinea wieder ins Land einfallen oder die NPFL-Kommandanten aufeinander losgehen — dann sind wir auch tief im Busch nicht mehr unseres Lebens sicher.“ Wie der neue Präsident heißen soll, interessiert die meisten nicht mehr: „Hauptsache, die ,Special Commanders‘ werden in Schach gehalten.“

Genau das scheint Taylor nicht mehr zu schaffen. Wegen heimlicher Waffenschiebereien an Johnsons Leute hat er bereits mehrere seiner Kommandanten verhaften lassen, wagt aus Angst vor einem Solidarisierungseffekt unter den Gios aber nicht, sie als Meuterer exekutieren zu lassen. Außerhalb von Taylors Machtbereich wird folgerichtig und freimütig auf Johnson gesetzt.

„Wer Doe tötet, ist neuer Präsident“, ruft eine Gruppe Exilliberianer vor ihrer verwahrlosten Botschaft in Abidjan, der Hauptstadt der Elfenbeinküste. Weil Johnson Doe umbrachte, soll er das Land führen. Auch Doe qualifizierte sich 1980 nur deshalb zum Präsidenten, weil er sich rühmen konnte, seinen Vorgänger Tolbert persönlich erschossen zu haben. Does offizieller Nachfolger im Amt, General Nimley, erntet unter den Demonstranten nur Hohn und Empörung: „Nimley hat im März 200 verwaiste Kinder aus Nimba verschleppen und umbringen lassen.“

Das dramatische Ende von Diktator Doe hat der ursprünglich nur als Beobachtergruppe geplanten Ecomog, der Eingreiftruppe der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, Auftrieb beschert. Die starre Haltung Charles Taylors, der als „Vergeltung“ für die „Invasion des regionalen Diktatorenklubs“ mit der Ermordung Zehntausender in Lagern gefangener Westafrikaner droht, erleichtert der Ecomog die Aufgabe ihrer schwammigen Neutralität. Gemeinsam mit den Kämpfern des kompromißbereiten Prince Johnson, der nun von einem per Hubschrauber eingeflogenen US-Staatssekretär aufgesucht wurde und angeblich bereit ist, den Ecomog-Kandidaten Amos Sawyer als neuen Präsidenten anzuerkennen, geht sie nun in eine „Totaloffensive“ gegen die NPFL.

Seit Tagen wird Monrovia von den seit Kriegsbeginn schwersten Kämpfen erschüttert: Taylor schießt mit schwerer Artillerie bis in den Freihafen, tötet dadurch mehrere Ecomog-Soldaten und beschädigt ein nigerianisches Schiff; nigerianische und ghanaische Luftwaffe wird zur Bombardierung von Taylors Stellungen bei Paynesville eingesetzt. Die Reste der Doe-Armee haben unterdessen ganze Gebäudekomplexe am Stadtrand angezündet. Aus Hunger sollen sie sich vom Fleisch erschossener Opfer ernähren.

Unterdessen nimmt Amos Sawyer bereits quasi-diplomatische Beziehungen auf. Nach einem Treffen mit Nigerias Herrscher Babangida empfing ihn jetzt Ghanas J.J.Rawlings offiziell in Accra. Entscheidend für seine Erfolgsaussichten bleibt jedoch, ob sich Prince Johnsons schießfreudige Soldaten ernsthaft von einem Universitätsprofessor in die Schranken weisen lassen. Auf deren Angriffe reagieren die jungen Rekruten der NPFL vielfach mit Panik. Johnson genießt nicht zuletzt dank mehrfacher Totsagungen durch Taylor einen regelrechten Unsterblichkeitsmythos. Angeblich soll ihn traditionelle Wundermedizin zu einem unbesiegbaren Stehaufmännchen machen.