Berlin ist zu links

■ Bonner Bürgermeister kämpft um den Regierungssitz

Berlin (taz) — Die Frage, wann eigentlich der erste Trabi in Bonn gesichtet worden sei, konnte der Oberbürgermeister des Provinzstädtchens am Rhein gestern in Berlin nicht beantworten. Daß seine Stadt aber — Vereinigung hin oder her — Regierungssitz bleiben müsse, da war sich Dr. Hans Daniels ganz sicher. Seine Mission: Der Nationalstaat ist tot, es lebe Australien.

Denn in Australien, Brasilien, den USA und Indien seien die größten Städten gerade nicht Regierungssitz geworden. Ausgerechnet vor den JournalistInnen der Berliner Pressekonferenz warb Daniels dafür, Umzugskosten zu sparen und den bundesdeutschen Parlaments- und Regierungssitz da zu lassen, wo er seit 40 Jahren ist. Daß auch Ost-Berlin Hauptstadt war, wollte Daniels wegen der „schlechten SED-Tradition“ nicht gelten lassen. Er habe auch den Eindruck, daß sich immer mehr Volkskammerabgeordnete mit Bonn anfreunden würden.

Dann malte Daniels den Teufel an die Wand: Wenn Berlin Hauptstadt und Regierungssitz würde, dann wollten vermutlich alle Professoren dieser Erde an die Freie Universität berufen werden; jeder bundesdeutsche Bühnenschauspieler würde in die Metropole auswandern; die Wirtschaftsbosse würden ihre Fabriken abreißen, um sie an der Spree wieder aufzubauen; die Lobbyisten brächen ihre Zelte am Rhein ab, um an der Havel zu campieren. Deutschland respektive Bonn wäre öd und leer, außer Berlin gäbe es nur noch Provinz. Ein Drittel der Bonner Bevölkerung stände plötzlich ohne Arbeit da, weil die Bonner Politszene sich dann abends nicht mehr für eine der mindestens drei Bonner Szenekneipen entscheiden müßte, sondern hilflos, ängstlich und mit Stadtplan in der Hand im Berliner Sündenbabel verlorenginge.

Dem wackeren Kommunalpolitiker sprang schließlich noch sein Oberstadtdirektor zur Seite. Berlin solle Europa als Friedensstadt dienen und nicht, so wörtlich, die Insignien der alten Reichshauptstadt wiederbekommen. Und Daniels setzte noch einen drauf: Berlin, ob Ost-oder West, sei sowieso untypisch für Deutschland. Das sähe man schon an den Wahlergebnissen — hüben rot-grün, drüben 30 Prozent PDS.

Wie gut, daß es noch das typische Bonn am Rhein gibt, in dem die CDU vor kurzem noch 55 Prozent der Stimmen verbuchen konnte. Hier, wo gleich nebenan die Weinberge Konrad Adenauers lagen, ist die Welt noch in Ordnung. Auch eine Kneipe namens „Provinz“ gab es dort einmal. Aber selbst die hat schon längst geschlossen. Claus Christian Malzahn