NVA-Offizier kritisiert Eppelmann

■ Ein Offizier der NVA schrieb für die taz auf, wie die Auflösung von innen aussieht

Am 2. Mai 1990 verkündet Minister Eppelmann sein bis 1993 reichendes Projekt für eine 100.000-Mann-Armee in der DDR. Er mißachtete damit nicht nur die vielfachen Warnungen, daß diese Armee von der wirtschaftlich zerrütteten DDR nicht zu bezahlen ist, sondern auch die politische Linie der Regierung, die auf schnelle Vereinigung hinauslief.

Während Eppelmann durch Europa tourte und seinen Traum von einem Staat und zwei Armeen und zwei Oberbefehlshabern pries, überließ er es seinen beiden Staatssekretären Ablaß und Wieczorek, das Stoltenbergsche Auflösungskonzept für die NVA, das auf der 31. Kommandeurstagung der Bundeswehr vorgestellt wurde, juristisch wie faktisch vorzubereiten und einzuleiten. In vorauseilendem Gehorsam spielten Strausberger Führungskader alle wichtigen Unterlagen der Bundeswehrführung zu, was die Verhandlungsposition der DDR für die Staatsverträge ungemein unterstützte. Die Truppe glaubte noch an Eppelmanns Versprechungen, während Staatssekretär Wieczorek die Rolle des Totengräbers der Armee immer besser spielte. Nicht nur einmal äußerte er auch vor Soldaten, daß Eppelmann doch lieber auf die Kanzel zurückkehren solle.

In einem hatte Dr. Wieczorek aber recht. Man hätte die Auflösung der NVA viel einfacher, schneller und vielleicht sogar sozial verträglicher haben können, wenn man gleich damit begonnen hätte. Das hat die Eppelmannsche Arroganz der Macht verhindert. Am 28.Juni setzte Minister Eppelmann seine Unterschrift unter den Haushaltsplan von unzahlbaren runden vier Milliarden DM, wovon über eine Milliarde für „Beschaffungen“ und nur 190 Millionen für Abrüstung und Konversion vorgesehen waren. Wenn man die Eppelmannsche Vision der 100.000-Mann-Armee zugrunde legt, dann ist dieser Plan völlig logisch. Diese Vision war aber schon am 2. Mai (Selbst-?)Betrug und erst recht zwei Tage vor der Währungsunion.

Am 15. August kam dann der Enthauptungsschlag. Minister Eppelmann schickte durch Befehl alle Berufssoldaten über 55 Jahre per 30. September nach Hause. Den 50- bis 55jährigen wurde das angebot zur Kündigung gemacht, das mit dem Blick auf den Arbeitslosenmarkt und die drohende Entlassung nach dem Beitritt sogar generös zu nennen ist. Mit diesem Befehl ist faktisch die Führungsstruktur der NVA zerstört. Oberhalb der Divisionsebene funktioniert nichts mehr, und auch die Divisionen sind nicht mehr einsatzfähig. Die gesamte Gefechtstechnik der NVA wird Tag für Tag aufmunitioniert und aufgetankt, die Bewachung reicht gerade noch so aus.

Für diejenigen, die bis zum 3. Oktober noch nicht abgerüstet sind, hält der Einigungsvertrag weitere Demütigungen parat: Warteliste mit 70 Prozent Gehalt, eine Bundeswehrarbeitsuniform, neu festzulegende niedrige Dienstgrade, geringere Dienstbezüge gegenüber den Bundeswehrkollegen, Übernahme nur nach Bewerbung mit anschließender Eignungs- und Gesinnungsprüfung, keine Anwendung der Versorgungsordnung der Bundeswehr für am 3. Oktober zunächst umgekleidete, aber dann doch entlassene Ex-Volksarmisten.

Mit dem Blick auf den 1. September als Antikriegstag ist die Auflösung einer Armee durchaus nichts Schlechtes. Wie diese Armee allerdings abgeschafft wurde, ist kein Ruhmesblatt deutscher Geschichte und hat mit Pazifismus, Demokratie und Gerechtigkeit nichts zu tun. Der Autor, Fregattenkapitän der NVA, will aus

dienstrechtlichen Gründen anonym bleiben.