: Staubildung für die Marktwirtschaft
■ Bürgerinitiative »Biesdorf Süd« blockierte aus Protest Hauptverkehrsstraße: Örtliches NVA-Gelände soll in das Eigentum der Kommune gehen/ Offiziere sitzen auf Filet-Grundstück
Biesdorf. »Wenn schon, denn schon«, dachten sich die Mitglieder der Bürgerinitiative »Biesdorf Süd« und blockierten gestern nachmittag zur besten Ausflugszeit die Fernverkehrsstraße 1 an der Kreuzung Köpenicker-/Otto-Buchwitzstraße. In wenigen Minuten staute sich das Blech, forderten Autofanfaren freie Fahrt und riefen genervte Familienväter aus ihren neuen Wagen Schimpfwörter in Richtung Demonstranten. Diese reagierten gelassen, denn ihr Problem erschien ihnen weit wichtiger als die Fahrtunterbrechung für die »lieben Mitbürger, die doch bitte Verständnis aufbringen sollten.« Für die Menschen in Biesdorf Süd hat das Problem drei Buchstaben: NVA. Die ist nämlich Eigentümerin eines 45 Hektar großen Geländes mitten in ihrem Stadtteil. 1973 hat sich die Volksarmee bei ihrem Namensgeber bedient und 23 Grundstücksbesitzer enteignet. Dann setzte sie Gebäude auf Gebäude auf den eroberten Grund, um eine Pioniereinheit zu stationieren. Jetzt, da die NVA am Ende ist, sind die Anwohner der Meinung, daß das Gelände sinnvoll genutzt werden sollte.
Dies bedeutet für sie zuallererst Umwandlung des Geländes in einen Gewerbepark mit Geschäften und Freizeiteinrichtungen, die so viele Arbeitsplätze wie möglich schaffen sollten. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Voraussetzung allerdings wäre, daß die NVA das Gelände an die Kommune, also den Magistrat von Ost-Berlin, abgeben würde. Macht sie das nicht, dann bekommt nach dem 3. Oktober der Bund, also die Bundeswehr, das Gelände. Mit einer Kaserne, die vieleicht zehn Arbeitsplätze schaffen würde, können die Biesdorfer aber nichts anfangen. Also fordern sie: »Biesdorf armeefrei«.
Verhandlungen darüber laufen zwar schon eine ganze Weile, erscheinen aber nicht so einfach. Um wenigstens einen Wertausgleich für ihre Häuser zu bekommen, hat die NVA diese an die Westfälische Landesbank Düsseldorf verkauft, die damit selbst den gewünschten Gewerbepark bauen. Dem Stadtrat für Stadtentwicklung Thurmann wäre eine öffentliche Ausschreibung lieber gewesen, aber wer baut, ist ihm zur Zeit egal. Die Hauptsache ist, die Rechtsträgerschaft geht noch vor dem 3.Oktober an die Kommune.
In die Verhandlungen wird aber noch eine weitere Gruppe einzubeziehen sein. Ehemalige Offiziere, die richtig erkannt haben, daß mit der Waffe in der Hand für sie nichts mehr zu verdienen ist, ließen sich einen Hektar in der Mitte des Geländes von der NVA selbst überschreiben. Sie gründeten dafür extra eine GmbH. Die Bereitschaft, auf das Stück in der Mitte zu verzichten und sich mit einem Hektar am Rande zu begnügen, ließen sie sich schon kräftig bezahlen. Gegen diese GmbH will die Kommune aber mit allen rechtlichen Schritten vorgehen, denn für die meisten in Biesdorf ist es ein ganz schlechter Witz, daß die »Diebe« nun noch einen Teil der Beute von 1973 rechtmäßig zugesprochen bekommen. Eine Absichtserklärung für den Wechsel der Rechtsträgerschaft ist von den beteiligten Parteien schon unterschrieben worden. Ob sich die Armee daran halten wird, soll sich morgen entscheiden. Sollte sie das nicht tun, überlegen sich die Biesdorfer schon neue Aktionen. Torsten Preuß
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen