Marburger „Kreml“ besetzt

Ex-DKP-Haus von Wohnungssuchenden 17 Stunden lang vor Immobilienspekulanten bewahrt  ■ Von Richard Laufner

Marburg (taz) — Der Marburger „Kreml“ wurde letzte Woche für 17 Stunden von 20 Wohnungssuchenden besetzt. Angesichts der Wohnungsnot in Marburg protestierten die Besetzer dagegen, daß im 3 1/2-stöckigen Gebäude Arztpraxen untergebracht werden sollten. Der Marburger „Kreml“ hat seinen Namen, weil er 18 Jahre lang die Deutsche Kommunistische Partei beherbergte. Für große Aufregung im kleinen Marburg hatte der misteriöse Verkauf des „Kremls“ gesorgt.

Seit 1972 war die „Partei der Arbeiterklasse“ ununterbrochen im Stadtparlament der Universitätsstadt vertreten. Selbst bei den Kommunalwahlen im Frühjahr 1989 kam die DKP trotz Grünen-Konkurrenz (17,6 Prozent) noch auf 5,8 Prozent.

Der seit 1972 amtierende Fraktionsvorsitzende Ulli Stang war auch Besitzer des DKP-Hauses im Stadtzentrum und erhielt aus der Parteikasse neben dem Gehalt als hauptamtlicher DKP-Funktionär auch 1.350 DM Miete. Doch die Erschütterungen in der DDR sorgten auch in Marburg für Auflösungserscheinungen. Drei Abgeordnete verließen die Fraktion und gründeten die Liste „Unabhängige Linke“. Zurück blieb nur der DKP-treue Fraktionsvorsitzende. Doch als der immer dementierte Geldzufluß „von drüben“ versiegte und weder Gehalt noch Miete bezahlt werden konnten, verließ der heute 45jährige Ulli Stang aus beruflichen Gründen die Stadt Richtung Hamburg.

Ende Juli verkaufte er dann das von den Eltern geerbte Haus „meistbietend“. Allerdings schwieg sich Stang hartnäckig über die neue Besitzerin, „eine mir nicht bekannte ältere Dame aus Göttingen“ aus. Das verstärkte nur noch den Verdacht, daß es sich um eine „Strohfraugeschichte“ handelte, wie selbst Stangs DKP- Parlamentsnachfolger Georg Fülberth befürchtete. Bis wenige Stunden vor dem Verkauf war Gynäkologie-Professor Albert Huch der meistbietende Interessent gewesen. Der Klinikchef mit Wohnsitz in Marburg hatte sich in den vergangenen Jahren durch den Kauf von zwei Dutzend Häusern vor allem in Marburgs historischer Altstadt und anschließender Billigstsanierung den Titel „Professor Monopoly“ erworben.

Bei den Räumungsverhandlungen mit den 20 Besetzern lüftete sich das Geheimnis und der Name der geheimgehaltenen Hauskäuferin wurde nach zwei Tage langen Nachforschungen publik und bestätigte den Verdacht: Frau Gutzeit aus Göttingen ist die Schwiegermutter des 56jährigen Gynäkologen Huch. Ulli Stang, durch den Verkauf gerüchteweise zwischen 310.000 und 340.000 DM reicher, reagierte auf die Enthüllungen zu dem fragwürdigen Deal mit fast philosophischer Grübelei: „Ich vermute, das kann kaum jemand verstehen.“