Mammut-Behörde bestätigt

■ Bonn: 1.000 Experten für die Stasi-Aufarbeitung/ Hungerstreik bröckelt/ Innenminister Diestel erinnert an Toleranz gegenüber der NSDAP

Berlin (dpa/taz) — Das Innenministerium in Bonn hat bestätigt, daß etwa 1.000 Fachleute nach der Vereinigung in einer zentralen Behörde in Berlin sowie in 21 Nebenstellen auf dem Gebiet der DDR die Akten der Stasi sichern und für Auskünfte aufarbeiten sollen.

Ein Sprecher der Behörde bestätigte am Samstag gegenüber 'dpa‘ entsprechende Informationen der taz. Eine geheime Vereinbarung zum Thema Stasi-Akten zwischen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und DDR-Staatssekretär Günther Krause gebe es jedoch nicht. Aus der Meldung ging nicht hervor, zwischen wem und hinter welchen Türen diese Pläne erarbeitet wurden.

Dem Schäuble-Ministerium zufolge ergibt sich der geschätzte Personalbedarf aus dem Umfang des Stasi-Materials und den Aufgaben der Archivbehörde. Nach den Informationen der taz sollen diese „Experten“ sich im wesentlichen aus dem ehemaligen DDR-Innenministerium rekrutieren. Danach sollen die Apparatschiks der neuen Mammut-Behörde gar selbst historische Forschung betreiben. Wie hoch der tatsächliche Personalbedarf sei und wer mit dieser Aufgabe betraut wird, muß nach Auskunft des Ministeriums noch festgelegt werden. Es wird damit gerechnet, daß etwa 500 Bedienstete der Behörde des Sonderbeauftragten für die Stasi-Akten allein mit der „Sicherung des Materials“ befaßt sein werden. Weitere 500 Personen, meist Archivare, dürften nötig sein, um das im Einigungsvertrag festgelegte Auskunftsrecht sicherzustellen.

Als Leiter der neuen Stasi-Akten- Behörde ist der Volkskammerabgeordnete Joachim Gauck (Bündnis 90/Grüne) im Gespräch. Er war am Sonntag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

In der früheren Stasi-Zentrale in der Ostberliner Normannenstraße erklärten die Malerin Bärbel Bohley vom Neuen Forum und die Volkskammerabgeordnete Christine Grabe am Wochenende ihren Hungerstreik nach über zehn Tagen für beendet. Sie wollten aber bis Freitag in dem Gebäude bleiben, um mit den anderen sicherzustellen, daß frühere Stasi-Mitarbeiter keinen Zutritt mehr erreichen. Die Bürgerrechtler hatten am Sonnabend angekündigt, ihren am 12. September begonnenen Hungerstreik bis Freitag weiterzuführen. Danach wollen sie mit einer Mahnwache ihre Protestaktion fortführen. Am Freitag wird sich die Volkskammer erneut mit der Stasi- Vergangenheit beschäftigen. In mehreren Städten der DDR kam es ebenfalls zu Mahnwachen und Hungerstreiks.

Die Besetzer fordern, daß personenbezogene Akten den Betroffenen ausgehändigt werden und Geheimdiensten der Zugriff auf die Stasi- Akten verboten wird. Dazu erklärte Gauck laut 'adn‘ in einer Fernsehsendung, wegen „des inneren Friedens“ werde es nicht möglich sein, die eigenen Akten mitzunehmen.

Den „inneren Frieden“ sieht auch DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Stasi-Akten und der SED-Vergangenheit gefährdet. Er befürchtet gar „eine Art Bürgerkrieg“. Diestel rief dazu auf, die Toleranz der Nachkriegsgeneration aufzubringen, die nach 1945 auch nicht alle Mitglieder der NSDAP ausgegrenzt habe. Es habe einen Kanzler und einen Bundespräsidenten gegeben, die NSDAP-Mitglieder gewesen seien. bs