Bündnis fürs Leben?

■ Landesforum Sachsen des Neuen Forums macht sich Mut für ein Bündnis

Leipzig (taz) — „Die Frage der Auflösung stelle ich hier überhaupt nicht. Es geht einzig um neue Strukturen.“ Das waren klare Worte von Torsten Zuschke, Geschäftsführer des NF in Plauen. Ansonsten dachte keiner der Anwesenden auf dem Landesforum Sachsen daran, vor den unübersehbaren Organisationsproblemen des Neuen Forums zu resignieren. Sogar ein Anflug von Aufbruch ging durch den Saal, als am späten Nachmittag mit drei wesentlichen Beschlüssen die Weichen für eine Perspektive der Bürgerbewegungen gestellt wurden. Zuvor war gründlich abgerechnet worden. Man bescheinigte dem Republiksprecherrat, jeglichen Kontakt zur Basis verloren und sich über den deutlichen Willen der Basis hinweg gesetzt zu haben. Werner Schulz, Volkskammerabgeordneter des NF, erklärte sarkastisch, der Arbeitsausschuß des Republiksprecherrates gebärde sich wie ein „Politbüro“. Das Grundübel seien nach wie vor die Strukturen, die verhinderten, daß Basisinformationen unmißverständlich nach oben gelangen. Dementsprechend fiel der beschlossene Antrag an das sonntägliche Republikforum aus. Der Landesverband Sachsen des NF spricht dem Republiksprecherrat und seinem Arbeitsausschuß das Mißtrauen aus und tritt für seine Auflösung ein. Statt dessen, so der sächsische Vorschlag, soll ein Länder- bzw. Bundessprecherrat und eine Bundesgeschäftsstelle in Berlin eingerichtet werden. Die Vertreter der Länder sollen von den Landessprecherräten entsandt werden und jederzeit austauschbar sein. Die politische Wirkung der Geschäftsstelle ist zu begrenzen. Daß aber wie auch immer geartete Strukturveränderungen das Org-Problem nicht lösen, wurde bei der gleichzeitig aufkommenden Debatte um die Geschäftsführerin des Landes Sachsen deutlich. Mit dem Satz: „Es fehlt ein ganzes Stück Basis“ von Geschäftsführerin Heike Pauer rückten Arbeitsfähigkeit und Orientierung in einen schönen Zusammenhang, der im Neuen Forum nie ausgedeutet wurde. Das Neue Forum ist als Dachverband konzipiert, viele seiner Probleme resultieren daraus, daß es nach dem stürmischen Herbst diese Rolle nicht wahrnehmen konnte. Das Neue Forum hatte es stets schwer, es konnte die Verbindung der projektgebundenen Initiativen kaum herstellen, da es einen ganzheitlichen Ansatz nie konsequent zum Konsens brachte. Die politische Identität des Neuen Forums ist daher unscharf. Noch auf dem sächsischen Landesforum wurde die Frage aufgeworfen, ob das NF nun links sein dürfe oder nicht.

Der zweite wesentliche Beschluß, sich als Landesforum Sachsen an der offenen Liste Die Grünen/Bündnis 90 zur Bundestagswahl zu beteiligen, nimmt so die alte Richtung eines umfassenden Bündnisses aller alternativen und Bürgerbewegungen wieder auf und wendet sich gegen den tödlichen Separatismus der NF-Spitze, in dem selbiges dem gesamten Forum empfohlen wird. Der gemeinsame Wahlkampf dient als Vehikel für weiterreichende Bestrebungen. Die Diskussion um das „Bündnis fürs Leben“ mit Grünen und anderen Bürgerbewegten weckte jedoch die alten Ängste. War man sich auch darüber im klaren, daß in Sachsen das Bündnis praktisch schon besteht und das gemeinsame Programm und die „gute Kandidatenmischung“ (Martin Böttcher) Vorarbeiten für gemeinsame Gremien darstellen. Einige befürchten Autonomieverlust. Vielleicht wirkte es in diesen Beklemmungen etwas befreiend, daß Klaus Bitterfeld von den sächsischen Grünen noch einmal die Verwurzelung auch seiner Partei in den bürgerbewegten Zeiten klarstellte. Die sächsischen Grünen hatten zudem auf dem Freiberger Parteitag ihren Beitritt zu den bundesdeutschen Grünen zugunsten einer Option für ein grün-bürgerbewegtes Bündnis hintangestellt. Ein Signal, wie Bitterfeld meinte, „gegen das parteiverknöcherte Verhalten der West-Grünen“. Trotzdem sind die Auswirkungen solcher außerwahlzeitlichen Bündnisbestrebungen auf die Basis des NF nicht kalkulierbar. Werner Schulz fragte, wieviele aus dem heterogenen Forum nach einem „Einigungsvertrag“ nicht mehr mitmachen würden. Eine Urabstimmung stünde ins Haus. Am Ende gab es ein eindeutiges Votum dafür, den neuen Landessprecherrat zu beauftragen, das an der Basis praktisch bestehende Bündnis aus Bürgerbewegungen und Grünen organisatorisch und strukturell in die Wege zu leiten und Richtung auf eine grün-bürgerbewegte Alternative zum etablierten Parteiensystem zu nehmen. Stefan Schwarz