Zuhören fällt den West-Grünen schwer

■ Von dem großen Anspruch des gleichberechtigten Miteinanderumgehens zwischen West und Ost bleibt wenig im Gedränge auf dem Grünen-Kongreß

Der plötzliche, begeisterte Beifall der Delegierten, als am späten Samstag abend der Beitritt der DDR-Grünen und der Bürgerrechtsgruppen satzungsmäßig perfekt war und die beiden aus der DDR kooptierten neuen Grünen-Bundesvorstandsmitglieder Christine Weiske und Friedrich Heilmann begrüßt wurden, überraschte manchen Besucher aus der DDR. Hatten doch die Grünen aus der BRD zuvor selbst die Debatte über die gemeinsame Wahlplattform genutzt, um ihren Streit um die rot- grüne Option neu aufzurollen.

Wie schwer der lobenswerte Anspruch der Grünen ist, ihre DDR- Partner nicht wie die bundesdeutschen Altparteien undemokratisch und rigide einzuverleiben, sondern als gleichberechtigte Gegenüber zu behandeln, hatte sich schon am Freitag abend beim deutsch-deutschen Umbau-Kongreß angedeutet. Drinnen im Saal diskutierten die West- Grünen, es sollte auch um ein Sofortprogramm für die DDR gehen, doch die Mehrheit der rund 30 DDR- Vertreter hielt sich in der Vorhalle auf. Darauf angesprochen erklärten sie, man habe das Programm nicht einmal vorher gekannt und so nichts dazu sagen können. Aber es sei sicherlich wichtiges Material für den eigenen Wahlkampf. Trotzig wirkte das nicht da vor der Tür, nur eben wie eine Beschreibung der Realität.

Bei den Grünen wird das derbe Wort kultiviert, da hat der leise, fragende Ton der DDR-Vertreter wenig Chancen. Beim Umbaukongreß beharrt ein DDR-Delegierter bei der generalisierenden Daumen-runter- Analyse der DDR darauf, daß „vieles nicht bewahrenswert, aber gestaltenswert“ sei. Er bittet darum, ihn als Gleichberechtigten zu behandeln und ihm nicht das Selbstbewußtsein abzusprechen. Niemand im Saal reagiert darauf.

Die West-Grünen beharren auf ihrem Diskussionsstand, wenig gewillt, eigene Positionen zu überprüfen. Es ist, als werde über lernschwache Kinder geredet. Bundesvorstandssprecherin Heide Rühle empfiehlt die Wahlplattform den rund 500 Delegierten zur Annahme. Sie fügt hinzu, das Papier sei „unkonkret“ und „unpolitisch“ und nicht auf dem Stand der BRD-Debatte. Sie entschuldigt den Mangel mit der Breite der beteiligten DDR-Organisationen. Die West-Grünen müßten erst lernen, daß „wir keine armen Patenkinder sind“, sondern eigene Erfahrungen einbringen, meint Hans- Peter Schneider von Demokratie Jetzt (DJ).

Für die BRD-Grünen möge es wie ein Schritt zurück wirken, verteidigt die Wahlplattform der Vertreter der Initiative Frieden und Menschenrechte, Reinhard Weißhuhn, aber für die DDR seien es zwei Schritte vorwärts. Sie müßten ja die Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus leisten und gleichzeitig deren Überwindung, sagt er fast entschuldigend. Der Versuch der Bürgerrechtsgruppen, dem Parlamentarismus möglichst lange zu trotzen, nicht Partei werden zu wollen, könne möglicherweise auch ein Schub für die West- Grünen sein, wirbt Weißhuhn. Auch für die Bundesdeutschen werde sich vieles ändern, gibt er zu bedenken, als wolle er die Grünen so von ihrer Selbstgewißheit abbringen. Auf dem Flur bemerkt er: „Das Bewußtsein, daß es um eine Kombination der Erfahrungen, nicht um Vereinnahmung geht, ist nicht vorhanden.“

Nur wenige Grüne wie die Beisitzerin im Bundesvorstand, Maria Haider, haben das Gespür, daß es für die „Neuen“ auch um die eigene Identität geht. Sie begrüßt vor den Delegierten, daß die neuen Mitglieder mit ihrer Fähigkeit zuzuhören „quer zur den Fraktionen“ ein Gewinn sind für die Partei und auch eine Chance zur Erneuerung der West- Ökos.

Symptomatischer sind die nebenbei ausgeteilten Abfuhren der westdeutschen Politprofis. Die grüne Volkskammer-Mitarbeiterin Brigitte Engler fragte, wo beim Umbauprogramm der grüne Ansatz sei, sie könne nur einen marxistischen Ansatz erkennen. Wie will man damit gegen die PDS antreten und sich abgrenzen? fragte sie. Die Bundestagsabgeordnete Christa Vennegerts argumentiert nicht, sie fährt die DDR- Grüne an: Sie werde sich nicht verbieten lassen, von einem antikapitalistischen Ansatz des Umbau-Programms zu sprechen, das beschreibe eben die Wirklichkeit.

Christine Weiske aus Brandenburg, für die DDR-Grünen im Bundesvorstand, versichert dennoch, sie empfinde den Umgang der beiden Organisationen als gleichberechtigt. Derzeit fehle den Vertretern der DDR-Grünen/Bündnis 90 noch die Routine und Erfahrung im politischen Betrieb, sagt sie. Hans-Peter Schneider (DJ) dagegen sieht die Gefahr, daß aus einem Erfahrungsvorsprung eine Dominanz wird, wenn der Partner nicht achtgibt. Gerd Nowakowski