Offener Brief an die Braunschweigische Landeskirche, Herrn Landesbischof Dr. Müller, Wolfenbüttel

an die Braunschweigische Landeskirche, Herrn Landesbischof Dr.Müller, Wolfenbüttel

Meinen soeben erfolgten Austritt aus der Evangelischen Kirche möchte ich Ihnen gegenüber begründen, da ich lange Jahre aus für mich guten Gründen Mitglied der Kirche war und in dieser Zeit mit einigen anderen Mitgliedern, vor allem Frauen, in konstruktiver Weise zusammengearbeitet habe. Durch die neueste Stellungnahme der EKD zur „Fristenlösung“ beim Schwangerschaftsabbruch, die sie gemeinsam mit der Katholischen Kirche abgegeben hat, wird mir diese Zusammenarbeit unmöglich gemacht.

Ich sehe einen schweren Verstoß gegen evangelische Glaubensinhalte darin, daß das Gewissen individueller (weiblicher) Menschen so wenig ernstgenommen wird, daß von Seiten der (männlichen) Amtsinhaber in der Kirche nach zivilem(!) Strafrecht gerufen wird, wenn diese Entscheidungen nicht kirchenkonform ausfallen. Es kommt darin eine tiefe Mißachtung des Gewissens von Frauen zum Ausdruck. Es ist allerdings ein Armutszeugnis für die Amtskirche, wenn sie die fehlende Wirkung ihrer Überzeugungsarbeit durch den Ruf nach dem Strafgesetzbuch auszugleichen versucht.

Sie wissen, sehr geehrter Herr Müller, daß ich in meiner politischen Tätigkeit, besonders im Zusammenhang mit meiner Arbeit im Deutschen Bundestag und in der Enquêtekommission zur Gentechnologie gegen die natur- und menschenverachtenden Praktiken der modernen Biotechnologien aufgestanden bin und mich öffentlich engagiert habe. Zur Zeit setze ich mich in meinem Amte als Vizepräsidentin der Technischen Universität Braunschweig dafür ein, daß für die ca. 200 kleinen Kinder von TU-Angehörigen, die dringend einen Platz in einer Kindertagesstätte am Arbeitsplatz ihrer Eltern benötigen, Hilfe geschaffen wird. In beiden Bereichen sehe ich nichts von einem deutlichen Engagement Ihrer Kirche; der lebens-, frauen- und kinderfeindlichen Grundhaltung unserer Gesellschaft wird soweit ich sehe von Seiten der Amtskirche nichts entgegengesetzt. Angesichts dieser Erfahrungen sind Ihre Rufe nach dem Strafgesetz gegen Frauen, die ihre Gewissensentscheidungen auf diesem Hintergrund treffen müssen, unerträglich. Prof.Dr.Erika Hickel,

Braunschweig