Unterm Strich

Nicht nur die deutsche, auch die sowjetische Nationalhymne ist erneuerungsbedürftig. In der Übersetzung von Erich Weinert heißt es: „Von Rußland, dem großen, auf ewig verbündet,/ steht machtvoll der Volksrepubliken Bastion./ Es lebe, vom Willen der Völker gegründet,/ die einig' und mächtige Sowjetunion!“ Bis zur Fußball-Europameisterschaft 1992 — wenn es denn zur Qualifikation reicht — sollte die Perestroikahymne schon fertig sein, sonst wird's peinlich.

Gorbatschow ist der Protagonist einer satirischen Komödie, die morgen in London am Barbican Theater Premiere haben wird. „Moscow Gold“ von Tariq Ali und Howard Brenton erzählt Pikantes von hinter den Kulissen der Perestroika. Howard Brenton war auch Co-Autor der „Iranischen Nächte“, einem Stück über den Rushdie-Skandal und über Moslems in England, das im vergangenen Jahr uraufgeführt wurde. Gorbatschow wird von David Calder (44) gespielt, der dem Präsidenten verblüffend ähnlich sehen soll.

Salman Rushdie, der nach dem Mordaufruf gegen ihn wegen seines Romans „Satanische Verse“ seit mehr als einem Jahr im Untergrund lebt, veröffentlicht diese Woche sein neuestes Werk, ein Kindermärchen mit dem Titel „Harun und das Meer der Geschichten“. Rashid, der Geschichtenerzähler hat seine Erzählgabe verloren. Sein Sohn Harun, der seinem Vater die Sprache wiedergeben will, bricht zu einer Reise voller Abenteuer auf. So begegnet er einer verrückten Prinzessin und ihrem Verlobten, einem Prinzen aus Holz, oder dem General Kitab („Buch“ auf arabisch), dessen Armee in Kapitel und Seiten gegliedert ist. Währenddessen vergiftet der Herr des Schweigens den Ozean der Geschichtenströme. In der Sonntagausgabe des 'Observer‘ merkt der Schriftsteller Anthony Burgess an, daß Rushdies Figuren „moslemische Namen tragen, aber einem Universum à la Borges angehören, in dem die Sprache körperlich gegenwärtig ist“. Laut Burgess hat Rushdie, der das Buch seinem Sohn gewidmet hat, ein Märchen für Kinder geschrieben, das Erwachsene ebenso gut lesen können und das man auch als Allegorie der eigenen Lage Rushdies begreifen könne.

Vom 30.9. bis zum 2.10. findet in Frankfurt eine Ost-Westeuropäische Tagung statt: „Intellektuelle, Moral, Politik“. Eingeladen sind u.a. Adam Michnik und Bärbel Bohley, Istvan Eörsi, Timothy Garton Ash und Daniel Cohn-Bendit. Im Tagungsprogramm heißt es: „Das Selbstverständnis der dissidenten Intellektuellen in Mittelosteuropa gründete bis 1989 auf ihrer Distanz zu Macht und Staat. Sie artikulierten die Forderungen und Wünsche der 'Gesellschaft‘ gegenüber dem Staat, sie kritisierten die stalinistische Herrschaft und wanderten dafür ins Gefängnis. Sie waren die moralische Instanz. Václav Havel ist nur das prominenteste und meistzitierte Beispiel für den Wandel, in dem ein erheblicher Teil der dissidenten Intellekutellen zu Trägern des Staates wurde. (...) Mit der Tagung will das Palais Jalta ein Forum bieten, auf dem diese und kontroverse westliche Politikerfahrungen diskutiert werden sollten.“ Palais Jalta, Ost/Westeuropäisches Kulturzentrum, Bockenheimer Landstraße 104, 6000 Frankfurt 1.