Wieviel Ökonomie können wir uns noch leisten?

In Stuttgart diskutierten Grüne und Wirtschaftsvertreter mit Wissenschaftlern aus Osteuropa über Wege aus der Umweltkrise/ Öko-Management als Kosmetik: Pure Imagepflege, weniger eine Überzeugungstat  ■ Von Gerd Rosenkranz

Stuttgart (taz) — Vision und Resignation liegen nahe beieinander, wenn in diesen Zeiten Menschen aus Ost und West gemeinsam über Pfade zur ökologischen Sanierung der Industriegesellschaft nachdenken. Wird sich die Wirtschaft aus wohlverstandenem Eigeninteresse selbst auf einen sparsamen Umgang mit den Ressourcen der Natur besinnen? Oder ist die Politik in der Lage, dieses Interesse durch mehr oder weniger rabiate „Folterinstrumente“ zu beflügeln? Kann im Osten die volkswirtschaftliche Stunde Null zum Ausgangspunkt für eine umweltverträgliche Wirtschaftsweise genutzt werden? Oder werden Polen, die CSFR, die Sowjetunion und die DDR im Gegenteil zum Mülleimer des westeuropäischen Kapitals, das heute vielfach damit begonnen hat, seine Umweltverantwortung in die ohnehin hochbelasteten ökologischen Krisenregionen jenseits des zerbrochenen Eisernen Vorhangs zu entsorgen? In der gediegenen Atmosphäre des „Hauses der Wirtschaft“ in der Schwabenmetropole Stuttgart, dort wo normalerweise die Regierung Späth ihre Zusammenkünfte mit einheimischen und fremdländischen Industriekapitänen zelebriert, überwog am Wochenende die Skepsis über die Chancen einer Wende zum Guten — namentlich unter den Experten, die aus Dresden, Warschau und Moskau angereist waren.

Immerhin, nicht ganz zu Unrecht meinte der für Westeuropa zuständige Umweltbeauftragte des Mineralölkonzerns BP, Repenning, allein diese Veranstaltung an sich sei schon als „Sensation“ einzustufen. Was den Mann so beeindruckte war weniger das Thema des ganztägigen Symposiums — „Umweltorientierte Unternehmensführung“ — als der Veranstalter. Geladen hatten die Landtagsfraktion und der Landesverband der Grünen Baden-Württemberg. „Die Zeit der bequemen Nischen- und Stammtischdiskussionen“ sei auf beiden Seiten — der der Wirtschaft, aber auch der der Grünen — unwiederbringlich vorbei, erklärte der Organisator der Veranstaltung, Ralph Bürk. Und in einem Anfall von Euphorie ob der Anwesenheit der Herren von der andern Seite legte der Landtagsabgeordnete Reinhard Bütikofer nach: Die Wirtschaft komme langsam „auf einen grünen Zweig“.

Die beste Werbung: Umweltforschung

Eine etwas vorschnelle Hoffnung. Denn was zunächst Repenning und dann Till Casper, Chef eines mittelständischen Gießereibetriebes und Vertreter des Landesverbandes der baden-württembergischen Industrie, den knapp 200 ZuhörerInnen in verbindlich-freundlichem Tonfall zumuteten, diente doch eher der Imagepflege denn einer ernsthaften Auseinandersetzung. Der BP-Vertreter rührte derart heftig die Werbetrommel für die ökologischen Bemühungen seines britischen Arbeitgebers, daß mitunter der Eindruck entstand, bei dem Mineralölkonzern müsse es sich wohl um eine Gründung der Umweltbewegung handeln. Als erstes Unternehmen habe BP ganz auf Produkte mit dem Ozonkiller chlorierte Kohlenwasserstoffe verzichtet, und wenn es nach den Briten gegangen wäre, hätte sich bleifreies Benzin schon ab 1970 durchsetzen können. Der „benefit“ fürs Unternehmen, gestand Repenning immerhin, entscheide selbstverständlich über jede Öko-Initiative seines Hauses. Gegenüber einer ökologisch sensibilisierten Kundschaft sei es eben heute lukrativer, ein paar Millionen in Umweltforschung zu investieren als in einen großangelegten Werbefeldzug.

Firmeninhaber Casper, sicherlich einer der ökologisch bewußteren seiner Spezies, bewegte sich dennoch im Rahmen der inzwischen auch in Unternehmerkreisen modernen Gemeinplätze: Von „hoher Priorität beim Umweltschutz“ war da die Rede, von „Daueraufgabe“, „Verpflichtung“ und der Bereitschaft, „rational und sinnvoll begründete“ Umweltauflagen zu akzeptieren. Die natürlich dürften nicht in „Standortnachteile“ münden. Nicht rational begründet wäre für Casper beispielsweise eine allgemeine Altlastenabgabe. Man könne Unternehmen nicht im nachhinein für giftige Hinterlassenschaften haftbar machen, die bei der Entstehung noch gar nicht erkennbar gewesen seien — die Gnade der späten Bodenprobe.

Dreistufenplan zum geläuterten Management

Die grünen Veranstalter protestierten eher pflichtschuldigst denn verärgert. Einem Studenten aus der Schweiz blieb es vorbehalten, die allgemeine Harmonie des „professoralen und industriellen Sachverstandes“ ein wenig zu stören. Jürgen Prange, Betriebswirtschaftsstudent im Unternehmer-Outfit, interessierte die Frage, wie weit die Spitze der unternehmerischen Öko-Bewegung denn nun wirklich gediehen sei. Dazu entwickelte der Vertreter der rührigen „umweltökonomischen Studenteninitiative oikos“ an der Uni von St. Gallen eine dreistufige Skala: Auf der ersten Stufe provoziert das unmittelbare Eigeninteresse mehr Umweltschutz in den Unternehmen, also etwa Kosteneinsparung, neue Marktchancen oder Imagepflege. Auf der zweiten stellt der Staat mit entsprechend geänderten Rahmenbedingungen für Industrie und Verbraucher die Weichen in Richtung auf eine „ökologische Marktwirtschaft“, die diesen Namen auch verdient. Auf der dritten schließlich erzwingen veränderte gesamtgesellschaftliche Ziele ein sogenanntes „nachhaltiges Wirtschaftssystem“, das heute erst in Umrissen erkennbar ist und eine „neue Ethik“ erfordert. Zumindest aber bedarf es dazu eines völlig veränderten Verhältnisses des Menschen zur Mit- und Nachwelt. Das schließt die Verwendung regenerativer Energieträger und Rohstoffe, komplett veränderte Einstellung zur individuellen Mobilität und zum wirtschaftlichen Wachstum ein. Pranges Vorredner hatten dessen These aufs trefflichste bestätigt: man befinde sich allenfalls auf der ersten Stufe der Entwicklung.

Später am Nachmittag — die Fraktion der Pulloverträger hatte gegenüber der der Schlipsträger unübersehbar die Oberhand gewonnen — packten Referenten aus Ost und West den Instrumentenkoffer aus, mit dem die Wirtschaft künftig auf den ökologischen Weg gezwungen werden soll: Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), Technologiefolgenabschätzung, Öko-controlling, Öko-Bilanzen und — als Spitze dieser Schwemme neuer Techniken zur Eindämmung der industriellen Selbstbedienung in der Natur — sogenannte Produktlinienanalysen. Letztere sollen Industrieprodukte auf ihre ökologischen, ökonomischen und sozialen Konsequenzen hin systematisch abklopfen, von der Rohstoffgewinnung bis zur Müllbeseitigung. Die verbindliche Einführung des diffizilen Bewertungssystems allerdings steht nach Ansicht des Referenten Frieder Rubik vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung in den Sternen. Noch sehe er weder in der Wirtschaft noch bei der herrschenden Politik ein Interesse, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen.

Im Osten: Pförtner contra Umwelt

Die Gäste aus dem Osten, insbesondere der Sowjetunion und Polen, hörten unterdessen ebenso interessiert wie bedrückt, welche Möglichkeiten unter den Bedingungen einer reichen, aber alles andere als ökologischen Marktwirtschaft immerhin diskutiert werden. „Das ist alles sehr interessant und wichtig“, meinte etwa Margarita Bunkina vom Institut für Gesellschaftswissenschaften der KPdSU (sie hatte als einzige Referentin über Rüstungskonversion unter den Bedingungen einer erheblich sinkenden Waffenproduktion gesprochen), „aber für diese Dinge können wir in der Sowjetunion nicht genug Kraft und Ressourcen aufbringen.“ Drastischer drückte es Joris Wotte von der Uni Dresden aus. Für fast sämtliche Unternehmen in der DDR sei im Moment etwas anderes viel wichtiger, nämlich die Frage: „Wovon bezahlen wir nächste Woche unseren Pförtner?“ Und der Wirtschaftswissenschaftler Lawniczak von der Wirtschaftsakademie Poznan meinte, in Polen sei seit dem Zusammenbruch nicht Umweltschutz modern, sondern vielmehr „Bierdosen, Plastiktüten, Pestizide und Müllverbrennungsanlagen“. Dabei spielen westeuropäische Unternehmen eine ganz andere Rolle, als ihre in Stuttgart anwesenden Vertreter glauben machen wollten. Müllimporte, Verkauf umweltschädlicher Produkte und Verlagerung problematischer Produktionen erlebten zur Zeit einen rasanten Boom. Dagegen, schlug Lawniczak vor, müßten die osteuropäischen Staaten nun unter umgekehrten Vorzeichen ein Instrument des kalten Krieges wiederbeleben: An die Stelle der COCOM-Liste für verbotene Technologie-Importe aus dem Westen müsse nun eine neue „Öko- COCOM-Liste“ treten, die den Osten vor dem Dreck der Westindustrie wirksam zu schützen vermag.

Wenigstens hier war zu ahnen, was Teilnehmer im Verlauf des Symposiums vermißt hatten: die Diskussion darüber, was denn passiert, wenn sich Ökonomie und Ökologie am Ende doch als antagonistisch erweisen. UVP-Experte Wotte unter dem Beifall des zu diesem Zeitpunkt arg ausgedünnten Publikums: „Wir diskutieren die ganze Zeit die Frage, wieviel Umweltschutz können wir uns leisten. Das ist im Grunde schon vom Ansatz her falsch. Die Frage müßte lauten: Wieviel Ökonomie können wir uns noch leisten. Aber darüber redet niemand.“