Wenn die Knorpel verschleißen

■ Amerikanische Forscher vermuten anormale Gene als Verursacher von Arthritis

Eine weitverbreitete Gelenkerkrankung, die Osteoarthritis, wird in manchen Fällen durch eine genetische Anomalie verursacht. Zu diesem Ergebnis kommen amerikanische Wissenschaftler in einer vor kurzem veröffentlichten Studie. Fast die Hälfte aller über Siebzigjährigen leidet zu einem gewissen Grad an Arthritis. Eine andere, schwerere Form der Krankheit befällt Menschen bereits im jugendlichen Alter. Bei allen Arthritispatienten wird der Knorpelmantel, der die Knochen in den Gelenken polstert, brüchig und dünn. Das verursacht Schmerzen und Schwellungen und in fortgeschrittenen Stadien Bewegungsschwierigkeiten.

Die Ursache der Krankheit ist bisher ein Rätsel geblieben. Lediglich die Symptome können heute mit schmerzstillenden oder entzündungshemmenden Mitteln bekämpft werden. In extremen Fällen werden die befallenen Hüft- oder Kniegelenke durch künstliche Gelenke ersetzt. Lange Zeit vermuteten die Mediziner, daß Arthritis zu den natürlichen, nicht aufhaltbaren Alterserscheinungen gehört: Die Knorpelkissen im Gelenk verschleißen nach langjähriger Belastung ähnlich wie die Stoßdämpfer eines Autos. Diese Ansicht änderte sich, als Wissenschaftler in den letzten Jahren in den befallenen Gelenken knorpelabbauende Enzyme entdeckten, die bei Gesunden nur selten auftreten. Nicht Verschleiß, sondern aktive Zerstörung scheint der Krankheit also zugrunde zu liegen.

Für die jetzt veröffentlichte Studie untersuchten Mediziner an der Case Western Reserve Universität in Cleveland (Ohio) 19 Mitglieder aus drei Generationen einer Familie, in der zahlreiche Arthritisfälle bereits im Jugendalter auftreten. Sämtliche neun Versuchspersonen, die an Arthritis leiden, tragen ein anormales Gen für den Knorpelbaustein „Kollagen 2“. Die zehn untersuchten, gesunden Familienmitglieder haben ebenso wie weitere 57 gesunde Vergleichspersonen, die mit der Familie nicht verwandt sind, normale „Kollagen 2“-Gene. Das anormale Gen bewirkt, daß der Eiweißstoff „Kollagen 2“, der sich aus mehr als tausend Aminosäuren zusammensetzt, an einem Punkt die Aminosäure Cystein anstelle von Arginin enthält.

„Kollagen“, so Arthritisforscher Darwin Prockop, „verhält sich wie Ziegelsteine in einer (Knorpel-) Mauer. Schlechtes Kollagen liefert schlechte Steine, und die ganze Mauer wird schwächer.“ Nun enthält der menschliche Körper alle Gene in doppelter Ausführung. Die an Arthritis erkrankten Versuchspersonen tragen nur jeweils ein anormales „Kollagen 2“-Gen. Ihr zweites „Kollagen 2“-Gen ist normal. Nur 25 Prozent ihres Kollagens ist von der „schlechten“ Sorte, 75 Prozent besteht aus normalem „Kollagen 2“. Offensichtlich reicht das aus, um den Knorpel entscheidend zu schwächen. Dank der Entdeckung, so die Mediziner, ist die Entwicklung neuer Therapien potentiell möglich. Das anormale Gen kann direkt gehemmt oder bereits gebildetes „schlechtes“ Kollagen kann an der Knorpelbildung gehindert werden. Gleichzeitig warnten die Forscher jedoch vor voreiliger Siegesfreude. Das defekte Gen ist bisher nur in zwei von neun weiteren untersuchten Familien, die stark Arthritis-gefährdet sind, festgestellt worden.

„Es ist zu früh zu behaupten, daß Osteoarthritis generell eine genetisch bedingte Krankheit ist“, warnt zum Beispiel der Rheuma-Experte Kenneth Brandt. „Wir wissen nicht, ob das in dieser Familie aufgefundene Gen weit verbreitet ist.“ Es ist durchaus möglich, so auch Prockop, daß andere Defekte im gleichen oder anderen Genen für andere Formen der Krankheit verantwortlich sind. Außerdem wird Arthritis in vielen Fällen durch eine Kombination von Erb- und Umweltfaktoren hervorgerufen. So kommt es bei einigen, vielleicht genetisch vorbelasteten, Menschen erst infolge besonderer Belastungen der Gelenke zum Krankheitsausbruch. Dies kann Übergewicht sein, das Betreiben bestimmter Sportarten oder die wiederholte Ausübung immer gleicher Bewegungsabläufe am Arbeitsplatz. Silvia Sanides