Überleben im vereinigten Deutschland

■ Die Bürgerbewegungen und die gesamtdeutschen Wahlen KOMMENTARE

Die gesamtdeutsche Parteiendemokratie wirft düstere Schatten voraus. Der große Saal im Berliner Haus der Demokratie, der immer noch den Namen Wilhelm Piecks trägt und Schauplatz der Verhandlungen zwischen Grünen aus Ost und West sowie den Bürgerbewegungen der DDR über ein Wahlbündnis ist, liegt bereits im Halbdunkel. Die Maschinerie des Parlamentarismus ist auch hier schon gut geölt: Zwänge, Wahlk(r)ampf, Bündnisse, Plattformen, Listen, Kampagnen — verkörpert durch die Politprofis der Grünen West mit den gelegentlich durchaus aufmüpfigen Grünen Ost im Schlepptau — bestimmen den Gang aller Dinge. Dabei haben sich die VertreterInnen der einzelnen Organisationen als pragmatisch und realistisch erwiesen. Sie waren imstande, aus einer schlechten Situation, der „lex DSU“, das Beste zu machen und zimmerten ein breites Bündnis für die Wahlen. Das ermöglicht es auch den Bürgerbewegungen der DDR, ins erste gesamtdeutsche Parlament einzuziehen. So weit, so gut.

Das Votum des Neuen Forums für die Teilnahme am Bündnis bietet jedoch gleichzeitig Anlaß, über den (Wahl-)Tag hinaus zu denken. Es ist kein Zufall und nicht nur renitenten Verhandlungsführern geschuldet, daß sich das Neue Forum beim Ja zum Bündnis so schwer getan hat. Angetreten im vergangenen Herbst mit einer Plattform, die allen Bürgerbewegten einen gemeinsamen Rahmen jenseits von Parteien und Parlamenten anbot, wollten sich die Delegierten in Leipzig jetzt nicht im politischen Abseits wiederfinden. Nun ziehen sie mit einer bald fusionierten grünen Partei an einem Strang. Angesichts der Dominanz der West-Grünen, die sich (vergeblich) anmaßten, über die Kandidatenaufstellung im Osten ihr Wörtchen mitreden zu wollen, als Partei aber ihre eigene Überlebensstrategie verfolgen, stellt sich damit zugleich die Frage nach der Zukunft der Bürgerbewegungen im vereinten Deutschland. Vor diesem Hintergrund sind Überlegungen im Neuen Forum verständlich, erneut am ursprünglichen Ansatz anzuknüpfen und eine gesamtdeutsche Bürgerbewegung auf die Beine zu stellen. „Es kann sein, daß die Zeit dafür noch nicht reif ist“, kommentierte Harald Terpe vom Neuen Forum Rostock kürzlich solche Überlegungen. Es kann sein, daß er recht hat. Die durch die überstürzte Einheit hervorgerufene Sogwirkung trägt ihren Teil dazu bei, daß die Parteiendemokratie im neuen Deutschland die alte bleibt. Beate Seel