Amnestie, „modifiziert“ für Strafgefangene

Generelle Amnestie als Reaktion auf die Häftlingsrevolte schloß Regierungssprecherin Merkel aus/ Volkskammer berät am Freitag/ Rechtshilfe aus der BRD — 15 Sachverständige sollen sowohl technische als auch rechtliche Probleme erörtern  ■ Von CC Malzahn

Berlin (taz/adn) — Die Volkskammer der DDR will am kommenden Freitag über eine „modifizierte Amnestie“ der Strafgefangenen entscheiden. Eine generelle Amnestie als Reaktion auf die Häftlingsrevolte schloß die Regierungssprecherin Merkel jedoch aus. Aus der Bundesrepublik sind unterdessen Strafvollzugsexperten und Richter nach Ost- Berlin gereist, die die zuständigen DDR-Stellen auf deren Wunsch beraten sollen. Die etwa 15 Sachverständigen sollen sowohl technische als auch rechtliche Probleme erörtern. So sind gestern von der Bezirksverwaltungsbehörde Frankfurt (Oder) drei unabhängige Kommissionen mit Juristen aus beiden Teilen Deutschlands eingesetzt worden, die in den Haftanstalten Rüdersdorf, Wriezen und Frankfurt (Oder) mit jedem Insassen sprechen sollen.

Während sich die Situation in den Gefängnissen von Pankow und Köpenick gestern nach dem Entgegenkommen der Regierung in Ost-Berlin entspannte, hat sich die Lage in den Knästen von Berlin-Rummelsburg und Berlin-Brandenburg dagegen verschärft. Nach Angaben des Rummelsburger Hauptinspektors Helmut Raschdorf habe es „ernst zu nehmende Hinweise darauf gegeben, daß ein Ausbruch vorbereitet wurde“. Dieser habe verhindert werden können, man befürchte jedoch eine Eskalation, erklärte Raschdorf in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur 'adn‘. Die Anstaltsleitung hat in Rummelsburg nun die Kontrollen verschärft und die bisher große Bewegungsfreiheit der Gefangenen wieder eingeschränkt. Die Presse ist auf dem Gelände der Haftanstalt nach wie vor nicht zugelassen.

In Brandenburg wurde der Ausbruchsversuch eines Häftlings durch den Warnschuß eines Polizisten vereitelt. Der Flüchtling — wegen schweren Diebstahls und Betrugs zu zehn Jahren Knast verurteilt — hatte bereits die Sicherungsmauer überwunden. In einem „Abschiedsbrief“ an den Leiter der Anstalt bezeichnete er seine Flucht als „Verzweiflungstat“. In dem Schreiben hatte er angekündigt, sich nach geglückter Flucht den westdeutschen Justizbehörden zu stellen, um in der Bundesrepublik eine Neuaufnahme seines Verfahrens durchzusetzen.

DDR-Justizminister Manfred Walther hat sich gestern erneut gegen eine von den Gefangenen geforderte Generalamnestie ausgesprochen. Eine solche Entscheidung vergesse die Opfer und bedeute eine Gleichstellung von „Rechtsbrechern mit Rechtswahrern“, erklärte er. Die Dachbesetzung des Köpenicker Gefängnisses soll bis zur Volkskammerentscheidung am Freitag weitergeführt werden. In Brandenburg verließen die Gefangenen dagegen das Dach und setzen ihre Protestaktion nun auf dem Dachboden fort.

Volkskammerpräsidentin Frau Bergmann-Pohl hatte am Montag abend während einer Beratung mit Vertrauenspersonen von Strafgefangenen erklärt, die Volkskammer sei durch das Innen- und Justizministerium sowie von der Staatsanwaltschaft unzureichend beziehungsweise falsch informiert worden. In jedem Fall seien alle Strafgefangenen berechtigt, die Überprüfung ihrer Urteile nach rechtsstaatlichen Maßstäben zu verlangen.