FDGB-Archiv in „treuen Händen“?

■ Altgediente FDGB-Kader wollen sich Zugriff auf DDR-Gewerkschaftsarchiv sichern/ BRD-Gewerkschaftsforscher verlangen öffentliche Trägerschaft

Berlin (taz) — Der renommierte Westberliner Gewerkschaftsforscher Prof.Theo Pirker nennt es in einem Brief an den Innenausschuß und die Fraktionsvorsitzenden der DDR-Volkskammer eine „Nacht- und-Nebel-Aktion“, die „von alten FDGB-Kadern von langer Hand vorbereitet wurde“. Gemeint ist die urplötzliche Gründung (am 21. September) eines „Kuratoriums“, dem Aufsicht und Entscheidungsbefugnisse über eines der umfangreichsten Gewerkschaftsarchive der Welt nun übertragen wurden. Prof. Pirker plädiert für eine „öffentliche Trägerschaft“ für dieses Archiv „mit Standort Berlin“ (siehe Dokumentation Seite 10), damit freier Zugang „für die wissenschaftliche Forschung jenseits parteitaktischer Überlegungen“ garantiert ist. Pirker wendet sich gegen eine sich verfestigende „Tendenz beim FDGB“, „die Materialien in den Händen derjenigen zu belassen, die die Archive schon vor dem 9. November 1989 geleitet und sie als Herrschaftslegitimation ... mißbraucht haben“.

Pirker und seine Mitarbeiter am Zentralinstitut für Sozialwissenschaftliche Forschung der FU Berlin befürchten Schlimmes. Denn seit längerem wurde als Chef des Archiv- Unternehmens Heinz Deutschland gehandelt, der Staat und Partei in verschiedenen Funktionen treu gedient hat. Einem breiteren Publikum wurde Deutschland als Autor der offiziellen FDGB-Geschichte bekannt. Dieser Personalvorstellung widersetzte sich der DGB offensichtlich. Die Wahl fiel nun — „interimistisch“? — auf Martin Vogler, einen langjährigen Vorsitzenden einer Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL), der auf der konstituierenden Kuratoriumssitzung auf Nachfrage die Anwesenden darüber informierte, daß Heinz Deutschland sich durchaus noch für Aufgaben bereit halte.

Auf dieser Sitzung wurde auch schon eine Archivordnung beschlossen, die unter Punkt fünf das Recht für jedermann vorsieht, „auf Antrag Archivgut aus einer mehr als 30 Jahre (!) zurückliegenden Zeit zu nutzen“. Diese Einschränkung bedeute, so die Mitarbeiter des FU-Instituts, eine „zweite Enteignung der Geschichte“ für DDR-Bürger.

Schon im Sommer hatte Pirker sich schriftlich an den DGB-Vorsitzenden Meyer und den Vorsitzenden des FDGB-Sprecherrates, Rothe, gewandt und um Unterstützung im Sinne einer öffentlichen Trägerschaft für das Gewerkschaftsarchiv geworben. In Meyers Siebenzeilenantwort war von „Prüfung“ die Rede. Rothe beschied Pirker ebenso wortreich wie unverbindlich und verwies darauf, „namhafte Wissenschaftler, auch aus der Bundesrepublik“, hätten zugesagt, sich für eine „Stiftungslösung“ einzusetzen.

Nun ist die Volkskammer gefragt, denn sie kann wie schon beim SED- Archiv über die Trägerschaft auch der DDR-Massenorganisationen entscheiden. Pirker und Mitarbeiter setzen aber auch darauf, daß der DGB und seine Einzelgewerkschaften sich im Interesse einer nicht parteigelenkten Aufarbeitung der Geschichte für die Lösung einer öffentlichen Trägerschaft einsetzen. jon