Hirnhämmer und Heino Jäger

■ VIPFILM 8 — ein Video-, Installations-, Performance- und Filmfestival

Was früher INTERFILM war, heißt dieses Jahr VIPFILM. Hinter dem neuen Namen steht eine 8 (weil es das achte INTERFILM wäre), die dezent auf all das hinweist, was noch so ist wie in den vergangenen Jahren. Auch weiterhin werden im »Eiszeit«, »FSK« und »Arsenal« mehr kurze als lange Filme und Videos gezeigt. VIPFILM ist kein Etikettenschwindel — das Festival wird 1. größer und 2. anders, weil mehr und zum Teil neue Leute bzw. Vereine mit neuen Vorlieben/Abneigungen das Ganze organisiert, von 600 Anmeldungen 100 ausgewählt und programmiert haben. Mit dem gestiegenen Etat — insgesamt 50.000 DM, hauptsächlich aus der Senatskasse — wurden zusätzliche Veranstaltungsorte erschlossen, das »Babylon-Ost«, »Urban-Art« und der »Laden für Nichts«. Diese räumliche Expansion war notwendig, weil VIPFILM mit zeitgenössisch-international-multimedialem Bewußtsein auch Installtions- und Performancekünstler eingeladen hat. Im »Laden für Nichts« wird während des Festivals zum Beispiel eine bildererzeugende Maschinerie mit wasserpumpenden Projektoren installiert ...

Die meisten Filme und Videos werden in zwölf Programmblöcken präsentiert, für deren Titel die Veranstalter schon im Vorfeld gelobt werden sollten. Medienmonster und Landjugend sowie Katastrophen im Amateurfilm heißen sie zum Beispiel und versprechen den oft so verloren- einsamen Kurzfilmexistenzen zumindest für die Dauer eines Programms eine flüchtige Geborgenheit und dem Zuschauer eine unaufdringliche Sehhilfe. Vielleicht versucht VIPFILM auf diese Weise der auf allen Prospekten angekündigten »Beratung« während des Festivals gerecht zu werden.

Im Programm Stars and Strippers wird u.a. ein Video von Björn Melhus über den 1. Juli 1990 gezeigt, jenen denkwürdigen Tag, da der Kapitalismus auf dem Alexanderplatz sein wahres, dämonisches Gesicht zeigte. Melhus dokumentiert in America sells den Auftritt einer singenden Tanzgruppe, bestehend aus korpulenten AmerikanerInnen in zynischem Rot. Durch Verdoppelung der Liedtexte in Untertiteln und der grausam-nahen Wiederholung einzelner Jauchzer aus weit aufgerissenen Mündern gelingt es Melhus, die apokalyptische Dimension der Veranstaltung zu offenbaren, gipfelnd in einem furcherregenden Appell an die irritierten Herumstehenden: »Feel free! Buy T-Shirts.«

Im gleichen Block zeigt Jürgen Brüning sein neues Video What is the relationship between Rosa von Praunheim and the male strippers in San Francisco? Angelegt als vergleichende Studie, versucht Brüning die unterschiedliche Vermarktung schwuler Kultur in den USA und der Bundesrepublik zu skizzieren. Und wenn zu manchen seiner Thesen auch das Bildmaterial fehlt, so ist es doch recht aufschlußreich, zwischen dem Nichtvorhandensein schwuler, amerikanischer Mainstream-Filmemacher und dem ambivalenten Interesse des deutschen Fernsehens an den body-gebildeten US-»Abspritzkünstlern« eine gedankliche Beziehung herzustellen oder Rosa von Praunheim über die »extremen Persönlichkeiten« in seinen Filmen reden zu hören. Ein Video, das sich verändert, wenn sein Macher etwas über die Hintergründe und die bisherigen Vorführungen in den USA erzählt ... Dagegen wirkt Peter Callas' Night's High Noon · An Anti-Terrain durch seine technische Perfektion völlig in sich abgeschlossen. Der Australier, dem »Sony« früher mal ein Stipendium in Tokio spendierte, zählt zu den souverän-erfindungsreichen Videokünstlern, und folglich entdeckt man meistens irgendwelche Bilder, Anspielungen oder Effekte, die seine Arbeiten davor bewahren, als »glatt« bezeichnet zu werden.

The good friday von Teemu Mäki aus Finnland dürfte die Veranstalter inspiriert haben, das dazugehörige Programm Hirnhämmer zu nennen. Ein junger, weißer, stählerner Mann haut seinen Kopf in aseptischem Setting so lange gegen einen Stahlschrank, bis es blutet, bis so etwas wie Gehirnmasse spritzt und er zusammenbricht. Später hängt/steht er masturbierend im selben Schrank: Es geht um die »Beziehung zwischen Christentum und Faschismus, das heißt zwischen masochistischem Humanismus und Sadismus«. The good friday sei eine Dokumentation, erklärt Mäki, eine rituelle Meditation, in der er sich mit Jesus identifiziert habe. Beim Sehen verspürt man diesen befremdlichen Schock, den Filme mit einer nur ernst gemeinten Gewalt auslösen. Eine Aggression, die, kathartisch freigesetzt, zu verletzen versucht und wegen dieser prickelnden Eigenschaft bestimmt von der stets verspäteten Intellellenfraktion als (pädagogisch) wertvoll mißverstanden wird.

Freunde genialer Sätze in dahergeplauderten Anekdoten sollten sich unbedingt Heino Jäger von Kalle Anker im Ego-Programm anschauen. Heino Jäger ist ein dicker, stark behaarter Bauch, auf den Familiendias projiziert werden. Durch Heino Jägers Atmung bewegen sich die abgelichteten Personen — z.B. Bikiniträgerinnen, sich umarmende Paare — fast natürlich, wirken lebendig, zugleich aber verfremdet durch die schwarzen Haare an recht ungewöhnlichen Stellen. Dazu erzählt Heino Jäger — bzw. seine auf Kassettenrecorder aufgenommene Stimme — auf hamburgisch vom Dachbodenausbau, wie sich seine Frau mal am Ofen verbrannt habe und er daraufhin den Ofen mit einer Art Musiktruhenverkleidung versehen habe, wie »der Lüdde« neulich vom Balkon gefallen sei und so weiter und so weiter.

Weil VIPFILM kein Geld für die Unterbringung der eingeladenen Künstler aus fremden Städten und Ländern ausgeben möchte bzw. selbiges längst anderweitig verplant ist, werden noch Herbergen gesucht. Wer eine Schlaf- bzw. Erholungsstätte anzubieten hat, kann 6932959 anrufen. Dorothee Wenner

VIPFILM, von heute bis zum 30.9.; Tagesprogramm und Sonderveranstaltungen siehe LaVie.